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Rapperswil-Jona
21.08.2025
23.08.2025 09:45 Uhr

Verleger Bruno Hug zum Aus der «Obersee Nachrichten»

Verleger Bruno Hug: «Die gedruckten Abo-Zeitungen haben die Wahl zwischen Pest und Cholera»
Verleger Bruno Hug: «Die gedruckten Abo-Zeitungen haben die Wahl zwischen Pest und Cholera» Bild: Keystone/ Urs Flüeler
Verleger Bruno Hug gründete vor 44 Jahren die «Obersee Nachrichten». Am Donnerstag kam die letzte Ausgabe heraus. Hug blickt im Linth24-Interview zurück und auf die (triste) Medienzukunft.

Bruno Hug, am 21. Juni 1981 brachten Sie die ersten «Obersee Nachrichten» heraus. Heute erscheint die letzte Ausgabe. Sind Sie traurig?
Ja und nein. Nein, weil Veränderung zum Leben gehört. Traurig, weil mit den ON eine Institution eingeht, die zumindest in meiner Zeit unsere Region bewegt hat. Und traurig auch, weil eine weitere Medienstimme verstummt. Der Niedergang der ON verdeutlicht, wie drastisch die Medienwelt im Niedergang begriffen ist.

Weshalb?
Das Internet führte in ein neues Medienzeitalter. Mir war früh klar, es wird die traditionellen Medien in den Abgrund reissen. Allein Google und Co entziehen dem Schweizer Zeitungsmarkt jährlich rund 2 Milliarden Franken. Dazu kommt der Online-Handel, der nur noch im Internet stattfindet.

Deshalb verkauften Sie 1999 die ON?
Ja, auch deshalb. Aber es gab auch andere Gründe. Die «Glarner Nachrichten» wurden an die «Südostschweiz» nach Chur verkauft, also an die heutige Somedia. Da wusste ich: Jetzt nehmen mich die «Südostschweiz» und die «Zürichsee Zeitung» in die Zange.

«Ich rief Hanspeter Lebrument an und fragte: Wollen Sie die ON kaufen?»
Bruno Hug

Wie gingen Sie vor?
Ich rief Verleger Hanspeter Lebrument an und fragte: Wollen Sie die «Obersee Nachrichten» kaufen? Drei Tage später sassen wir im Seedamm Plaza in Pfäffikon und Lebrument fragte: Wie viel wollen sie für die ON? Etwa zehn Minuten später waren wir uns einig.

Sie blieben aber Chef der ON. 
Das war die einzige Bedingung, die mir Lebrument stellte. Er sagte, es sei ihm egal, was ich sonst noch alles mache, ob Eishockey, Dieci oder Persönlich-Verlag. Aber ich müsse die ON weiterhin führen und in die Geschäftsleitung der «Südostschweiz» kommen.

Das ging lange gut, oder?
Ja, fast 20 Jahre, ohne ein Unwort. Dann kamen die Kesb-Berichte der ON, welche die Schweiz aufrüttelten und von der «NZZ» bis zum «Blick» zitiert wurden. Auch die Churer fanden das gut. An jeder Monatssitzung wurden die ON gelobt – bis der Stadtrat unter dem damaligen Präsidenten Erich Zoller und dem Kesb-Leiter Walter Grob die ON mit einer 330-seitigen Klage eindeckten.

«Als wir in erster Instanz unterlagen, verlor Lebrument die Nerven.»
Bruno Hug

Das war zu viel für Verleger Lebrument?
Ja. Er willigte zähneknirschend in eine Anwaltsvertretung der Zeitung ein. Als wir dann aber in erster Instanz am Kreisgericht Mels unterlagen, verlor er die Nerven. Am selben Tag akzeptierte er das Urteil, kündigte mir und liess mich im Regen stehen. Und die «Linth-Zeitung» schrieb auf der Titelseite hämisch: «Der tiefe Fall des Bruno Hug».

Waren Sie böse auf Lebrument?
Nein, ihm gehörten die «Obersee Nachrichten», er war der Boss und der Boss bestimmt.

Kaum waren Sie weg, ging es mit den ON bergab.
Dem war so. Aber auch ich hätte die ON auf Dauer nicht auf dem alten Niveau halten können. Grossinserenten wie Migros, Coop, Swisscom und so weiter stiegen ab den 2010er-Jahren als Inserenten reihenweise aus den Lokalmedien. Für mich darf ich höchstens reklamieren, dass ich im Verwaltungsrat in Chur schon 2013 in einer Präsentation ausführte, dass die gedruckte Zeitung durch Online-Medien ersetzt werde.

«Die ON sind wohl die hundertste Schweizer Zeitung die geschlossen oder fusioniert wird.»
Bruno Hug

Das glaubte man Ihnen nicht?
Nein, teils bis heute nicht. Aber die Prognose bewahrheitet sich bald täglich. Die ON sind wohl die hundertste Schweizer Zeitung, die geschlossen oder fusioniert wurde. Kürzlich gingen auch in Bern und Thun Zeitungen ein, sowie alle regionalen «20Minuten»-Ausgaben, der ZüriTipp und so weiter.  

Wie lange geht das weiter?
Bis es kaum mehr lokale Zeitungen gibt. Mit Ausnahme, sie werden staatlich finanziert, was teils heute schon der Fall ist. Die Verlagshäuser erhalten für ihre Zeitungen, Radio- und TV-Sender jährlich 200 Millionen Franken Subvention.

Was ist die Medienzukunft?
Es wird noch schlimmer. ChatGPT, respektive die Künstliche Intelligenz wird den Medienkonsum nochmals drastisch verändern. Die wöchentliche Nutzung von ChatGPT stieg von Februar bis Mai 2025 von 400 Millionen auf 800 Millionen Aufrufe. Wer heute im Internet etwas sucht und KI nutzt, erhält in Sekundenschnelle einen Fünfzeiler.

Was ist schlimm daran?
Nichts. Aber damit verlieren alle, die Information verbreiten, die Hoheit über ihre Texte. Auch Gemeinden und der Staat. Ich fragte kürzlich ChatGpt testhalber nach einem Nachruf für mich. Innert Sekunden erhielt ich mein Leben präsentiert, man hätte es fast 1:1 in der Kirche vorlesen können. Mein 12-jähriger Sohn ist am frühen Morgen schon besser informiert als ich, weil er alle neuen Online-Medien nutzt. Glauben Sie, er wird je eine Lokalzeitung für mehrere 100 Franken abonnieren?  Für mich ist klar: Wer künftig Herr über seine Botschaften bleiben will, muss über eigene Medienkanäle verfügen.

«Die gedruckten Abo-Zeitungen haben nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera.»
Bruno Hug

Also bald keine «Linth-Zeitung» und keine freien Medien mehr?
Der Trend geht in diese Richtung.

Warum investieren die Zeitungsverleger nicht in die Internet-Zukunft?
Weil Sie ihre Abo-Einnahmen schützen. Nur diese halten sie noch am Leben. Begeben sich die gedruckten Zeitungen ins freie Internet, brechen die Abos weg. Bleiben sie beim Abo, verlieren sie die Leser. Die gedruckten Abo-Zeitungen haben nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Gibt es am Obersee in 5 Jahren nur noch Linth24?
Vielleicht auch das nicht mehr. Alle lokalen Online-Portale sind defizitär. Auch Linth24, obwohl wir im Lesermarkt mit monatlich rund 130'000 Lesern und gegen eine Million Seitenöffnungen unglaublich erfolgreich sind. Aber im Internet ist die Werbung nichts wert, denn die Werbepreise diktieren Google, Meta, Facebook und Co.

Das heisst?
Früher bezahlten Inserenten pro Zeitungsseite und 1000 Leser bis 100 Franken. Im Internet sind es für 1000 gezeigte Banner noch 3 Franken. Kundenbeziehungen zwischen Medien und Inserenten gibt es nicht mehr, ob das Medium gut oder schlecht ist, spielt für die Inserenten keine Rolle. Die Werbung wird online von Computern in die Medien eingespielt.

Was ist die Zukunft? 

Der Niedergang der lokalen Medien hat eine stark unterschätzte politische Dimension. Die Schweizer Basisdemokratie ist gerade auf Gemeindeebene auf informierte Bürger angewiesen. Ohne diese äussere Kontrolle verliert die Politik ihre Glaubwürdigkeit – und die Bürger hängen ab.

Thomas Renggli