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Kanton
04.11.2024
05.11.2024 05:18 Uhr

Taxigewerbe: Kampf gegen Scheinselbstständigkeit

Kantonsrätin Eva Lemmenmeier stellte der Regierung Fragen zum Taxigewerbe. Nun hat die Regierung geantwortet.
Kantonsrätin Eva Lemmenmeier stellte der Regierung Fragen zum Taxigewerbe. Nun hat die Regierung geantwortet. Bild: www.ratsinfo.sg.ch/pixabay.com/wal_17261/Collage: Linth24
Wenn angestellte Taxifahrer Fahrten via Uber anbieten, ist dies arbeitsrechtlich korrekt. Bei selbstständigen Fahrern führt es hingegen zu Problemen. Eine Kantonsrätin fragt nach.

Kantonsrätin Eva Lemmenmeier (SP) erkundigt sich in ihrer Einfachen Anfrage vom 15. August 2024 nach arbeitsrechtlichen oder sozialversicherungstechnischen Aspekten, die Taxifahrerinnen und Taxifahrer in der Stadt St.Gallen betreffen, die ihre Leistungen über Plattformdienste anbieten und nicht bei einem lokalen Taxiunternehmen angestellt sind.

Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit

Sie schreibt darin:

«Uber bietet seit Mai 2024 ihre Dienste in Zusammenarbeit mit lokalen Taxiunternehmen in der Stadt St.Gallen an (1). Dies hat im Zusammenhang mit dem überarbeiteten Taxireglement der Stadt St.Gallen nicht nur im Stadtparlament (2), sondern auch in den Medien für Diskussion gesorgt. Denn im neuen Taxireglement der Stadt St.Gallen (3) werden keine arbeitsrechtlichen oder sozialversicherungstechnischen Aspekte geregelt, da diese kantonal verankert seien.

Sofern die Taxifahrerinnen und Taxifahrer, die über die Uber-App Fahrten anbieten, bei lokalen Taxiunternehmen angestellt sind, ist diese Kooperation arbeitsrechtlich in Ordnung, da die Unternehmen für die Arbeitnehmenden die erforderlichen Sozialabgaben bezahlen und sie gegen Unfall versichern.

Es ist durchaus möglich, dass auch ‹selbstständige› Taxifahrerinnen und Taxifahrer ihre Dienste über Uber anbieten. Da das Verhältnis dieser Taxifahrerinnen und Taxifahrer zu Uber gemäss den Bundesgerichtsurteilen vom 16. Februar 2023 (4) arbeitsrechtlich als eine Unselbstständigkeit gilt, stellt sich die Frage, wie der Kanton St.Gallen mit dieser Problematik umgeht.»

Am 29. Oktober 2024 hat die Regierung geantwortet.

Antwort der Regierung

«Die Unterscheidung zwischen einer selbstständigen Tätigkeit und unselbstständiger Arbeit ist nicht nur im Zusammenhang mit dem Aufkommen von Plattformdiensten wie Uber, sondern ganz allgemein im Rahmen der Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit von zentraler Relevanz.

Das Bundesgericht hat dazu in der Praxis zwei wesentliche Abgrenzungskriterien herausgearbeitet und wendet diese seit Jahren an: das arbeitsorganisatorische Abhängigkeitsverhältnis und das unternehmerische Risiko. Die kantonalen Arbeitsmarktbehörden sehen sich in ihrer täglichen Arbeit indes damit konfrontiert, dass in den nichtstreitigen Verwaltungsverfahren – jenen Fällen also, die nicht von Gerichten entschieden werden – im Zweifelsfall die Selbstständigkeit oftmals akzeptiert wird.

Rechtliche und gesetzliche Änderungen

Auf Stufe Bund sind aktuell Bestrebungen im Gange, die wichtigsten Kriterien für die Unterscheidung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Arbeit gesetzlich zu verankern. Zu diesem Zweck soll das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (SR 830.1;  abgekürzt ATSG) geändert werden.

In Umsetzung der Parlamentarischen Initiative 18.455 Grossen Jürg «Selbstständigkeit ermöglichen, Parteiwillen berücksichtigen» schlägt die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) vor, die beiden vom Bundesgericht angewendeten Abgrenzungskriterien im ATSG festzuschreiben.

Zusätzlich sollen in jenen Fällen, in denen sich der Status aufgrund dieser beiden Kriterien noch nicht klar bestimmen lässt, in einem zweiten Schritt allfällige schriftliche Parteivereinbarungen herangezogen werden, um zwischen selbstständiger und unselbstständiger Arbeit unterscheiden zu können.

Der Gesetzesentwurf der SGK-N sieht ferner eine Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (SR 831.10; abgekürzt AHVG) vor. Mit Hilfe eines neuen Art. 14. Abs. 4 bis AHVG soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass Dritte, wie z.B. Plattformunternehmen, selbstständig Erwerbende bei der Abrechnung der Beiträge unterstützen können, so dass Beitragslücken von Selbstständigen bei den Sozialversicherungen vermieden werden können. Das Vernehmlassungsverfahren zu den Vorschlägen der SGK-N endet am 1. November 2024.»

Eva Lemmenmeier hat weiter drei gezielte Fragen gestellt, welche die Regierung beantwortet.

Antworten zu einzelnen Fragen

 «1. Gibt es im Kanton St.Gallen eine gesetzliche Grundlage, die dieses arbeitsrechtliche Dilemma regelt?

Nein. Der Kanton St.Gallen orientiert sich an den eingangs geschilderten Abgrenzungskriterien des Bundesgerichtes.

2. Gibt es bereits eine Praxis, wie die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St.Gallen mit Fahrerinnen und Fahrern umgeht, die die Uber-App nutzen? Kann sie Uber als Arbeitgeber in die Pflicht nehmen?

Die Klärung des Versicherungsstatus (selbstständig/unselbstständig bzw. Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer) von Uber-Fahrerinnen und Uber-Fahrern wird durch die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich (SVA Zürich) schweizweit koordiniert und ist aktuell Gegenstand mehrerer Verfahren am Bundesgericht. Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St.Gallen (SVA St.Gallen) ist in engem Kontakt mit der SVA Zürich und wird laufend über den aktuellen Stand informiert.

Bundesgericht entschied «Unselbstständigkeit»

Das Bundesgericht hat im Februar 2023 nach vier Jahren entschieden, dass Uber-Fahrerinnen und Uber-Fahrer in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht eine unselbstständige Erwerbstätigkeit ausüben. (5) Arbeitgeberin ist dabei die Uber B.V. mit Sitz in den Niederlanden und Betriebsstätte in der Schweiz. Vom Bundesgericht wurden jedoch nur die vertraglichen und tatsächlichen Verhältnisse im Jahr 2014 beurteilt, wobei die Erkenntnisse sinngemäss auch für die Jahre 2015 bis 2022 anwendbar sein könnten.

Neue Uber-Bedingungen

Uber hat im Jahr 2023 mitgeteilt, dass bei den Uber-Fahrerinnen und -Fahrern neue allgemeine Geschäftsbedingungen in Kraft getreten sind. Allerdings wurden diese der SVA Zürich noch nicht zur Verfügung gestellt. Auch nicht bekannt ist, wann genau die neuen Bedingungen für Uber-Fahrerinnen und Uber-Fahrer im Jahr 2023 in Kraft getreten sind. Die neuen Bedingungen wurden nachgefordert und werden umfassend geprüft.

Das Verfahren und das weitere Vorgehen werden ebenfalls mit der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) koordiniert. Aus diesen Gründen werden aktuell eingehende Gesuche der Uber-Fahrerinnen und -Fahrer sowie von «Uber Eats»-Kurierinnen und -Kurieren um Anerkennung als Selbstständigerwerbende schweizweit bis zur abschliessenden Klärung des Versicherungsstatus durch das Bundesgericht pendent gehalten.

Über den ganzen Kanton St.Gallen gesehen, gibt es nur wenige Uber-Fälle. Diese behalten grundsätzlich bis zur vollständigen Klärung durch die SVA Zürich ihren Status quo. Mit der schweizweiten Koordination im Fall Uber betreffend Sozialversicherungsstatus wird neben einem einheitlichen Vorgehen in allen Kantonen auch der Versicherungsschutz der betroffenen Personen sichergestellt. Diese Praxis wird schweizweit angewendet und ist im Sinn der versicherten Personen.

3. Prüft die SVA generell bei Taxifahrerinnen und Taxifahrern, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt? Wie wird eine solche Prüfung durchgeführt? 

Grundsätzlich entscheiden die Ausgleichskassen die Frage, ob ein Einkommen aus unselbstständiger oder aus selbstständiger Erwerbstätigkeit stammt. Nach Massgabe des Bundesgesetzes über die Unfallversicherung (SR 832.20; abgekürzt UVG) sind im Kompetenzbereich der Suva (Art. 66 UVG – für Taxiunternehmen Art. 66 Abs. 1 Bst.g UVG) sowohl die Ausgleichskassen als auch die Suva für den Entscheid zuständig: die Suva in Bezug auf die Unfallversicherung, die jeweilige Ausgleichskasse für das AHV-Sozialwerk.

Koordination von Suva und SVA

Vor der Eröffnung koordinieren die Ausgleichskassen und die Suva ihre Entscheide miteinander. Trifft somit ein Antrag um Anerkennung einer selbstständigen Tätigkeit aus dem Zuständigkeitsgebiet der Suva bei der SVA St.Gallen ein, wird das Gesuch an die Suva zur Prüfung weitergeleitet. Die Suva stellt danach ihren vorgesehenen Entscheid der Ausgleichskasse zu. Die Ausgleichskasse teilt im weiteren Verlauf der Suva mit, ob sie damit einverstanden ist.

Wird eine selbstständige Tätigkeit festgestellt, nimmt die SVA St.Gallen die Person in ihrem Register auf, stellt quartalsweise Akontobeiträge in Rechnung und nimmt das Inkasso vor. Sobald die definitive Steuerveranlagung vorliegt, sendet das zuständige Steueramt eine Meldung mit den erforderlichen Angaben an die SVA St.Gallen, damit die Schlussrechnung erstellt werden kann.

Unterlässt es eine Person, einen Antrag auf Anerkennung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zu stellen und nimmt ihre Tätigkeit ohne sozialversicherungsrechtliche Unterstellungsklärung auf, übermittelt das Steueramt die Einkünfte gemäss der durch die Person eingereichten Steuererklärung bzw. der vorgenommenen Steuerveranlagung an die SVA St.Gallen. Die Überprüfung der Tätigkeit bzw. des Versicherungsstatus erfolgt nach Erhalt dieser Meldung. Allfällig geschuldete Beiträge werden rückwirkend erhoben.»

Fussnoten:

1) https://www.20min.ch/story/uber-st-gallen-lokale-taxi-lizenzen-ermoeglichen-neuen-uber-service-103096497

2) https://ftp-sg.oca.ch/stadtparlament/be9d234d491245c48ff20495cb641d87-332.pdf

3) https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/aufruhr-noch-bevor-das-neue-stgaller-taxireglement-ins-stadtparlament-kommt-wird-es-bereits-zerzaust-ld.2633785

4) https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/9c_0070_2022_2023_03_22_T_d_14_12_09.pdf

5) 9C_70/2022, 9C_71/2022, 9C_75/2022, 9C_76/2022.

www.ratsinfo.sg.ch/Linth24