In der Zeit der Hochkonjunktur Ende der sechziger Jahre wurden jährlich über 200'000 Saisonarbeiterinnen und -arbeiter in die Schweiz geholt, vor allem auf den Bau und in die Gastronomie. Sie waren die Puffermasse des Schweizer Wirtschaftswunders, angestellt jeweils für neun Monate, wurden als Menschen zweiter Klasse behandelt, weitgehend rechtlos. Ihre Kinder mussten sie zu Hause lassen, einen Familiennachzug gab es nicht. Einige brachten ihre Kinder verbotenerweise in die Schweiz.
Traumatische Erfahrungen
Im Jahr 2002 wurde das Saisonnier-Statut aufgehoben. Bis dahin mussten bis zu 50'000 Kinder von Saisonniers in der Schweiz im Untergrund leben. Sie lebten im Versteckten, mussten drinnen bleiben und konnten keine Schule besuchen. Nicht selten wurde die Fremdenpolizei durch Hinweise aus der Nachbarschaft auf solche Kinder aufmerksam, was üblicherweise deren Landesverweis zur Folge hatte. Rund 500'000 weitere Saisonnierkinder wurden bei Verwandten in ihren Herkunftsländern oder in Heimen im grenznahen Italien untergebracht. Für viele Betroffene – Kinder und Eltern – waren Isolation und Trennung eine traumatische Erfahrung.
Auch St.Gallen war beteiligt
Auch den St.Galler Betrieben mangelte es nach dem Zweiten Weltkrieg an Arbeitskräften. Der Kanton St.Gallen bewilligte zehntausende Aufenthaltsbewilligungen für Ausländerinnen und Ausländer. In den frühen 1970er-Jahren lebten allein im Kanton St.Gallen 30'000 italienische Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Wie in der ganzen Schweiz waren auch hier Arbeits- und Wohnbedingungen für die meisten Saisonarbeiterinnen und -arbeiter prekär.
Aufarbeitung und Wiedergutmachung
20 Jahre nach Aufhebung des Saisonnier-Statuts ist es an der Zeit, dass der Kanton St.Gallen dieses düstere Kapitel der Schweizer Migrationspolitik wissenschaftlich und politisch aufarbeitet und dabei auch die Frage der Wiedergutmachung angeht.
Die Regierung wird eingeladen, die Geschichte der Arbeitsmigration der Nachkriegszeit, insbesondere die unmenschliche Situation der Saisonnierkinder, im Kanton St.Gallen wissenschaftlich aufzuarbeiten, auf dieser Basis die notwendigen politischen Konsequenzen zu beschliessen und dem Kantonsrat darüber Bericht zu erstatten sowie die Ergebnisse in geeigneter Form der Öffentlichkeit bekannt zu machen.