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Kultur
23.10.2023

Premiere von Transgender-Oper

Lili Elbe (Lucia Lucas, r.) sitzt Modell für ihre Malerin-Partnerin Gerda Wegener (Sylvia D'Eramo, Mitte).
Lili Elbe (Lucia Lucas, r.) sitzt Modell für ihre Malerin-Partnerin Gerda Wegener (Sylvia D'Eramo, Mitte). Bild: Edyta Dufaj
Zur Wiedereröffnung des Paillard-Baus in St.Gallen vertonte Tobias Picker die Geschichte von Trans-Pionierin Lili Elbe (1882–1931). Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert.

Die weltweit erste grosse Oper über eine Person, die transgender ist, eröffnete am Sonntagabend, 22. Oktober 2023, das renovierte und erweiterte Grosse Haus. Lili Elbe ist das neuste Werk des mit einem Grammy ausgezeichneten amerikanischen Komponisten Tobias Picker und seines Lebenspartners, des Librettisten Aryeh Lev Stollman, das im Auftrag von Konzert und Theater St.Gallen entstanden ist.

Die Oper Lili Elbe erzählt die Geschichte der gleichnamigen Frau Lili Elbe, die als Einar Wegener geboren wurde, mit der Malerin Gerda Wegener verheiratet war und in den 1930ern eine der ersten Geschlechtsangleichungen vornehmen liess.

Vor dem Outing zuerst vorsichtig in Frauenkleidern posiert

Zuerst posierte Einar vorsichtig in Frauenkleidern, bevor er es wagte, sich als Transfrau zu outen. Die Dänin war eine der Ersten, die sich geschlechtsangleichenden Operationen unterzog. Lili Elbe (der Name wurde ihr vom dänischen König zugestanden; «Lili» wählte sie, weil sie Lilien so liebte, «Elbe», weil sie in Dresden an der Elbe umgebaut wurde) war zu diesem Zeitpunkt Ende 40. Aufgrund der damals noch experimentellen Natur solcher Eingriffe verstarb sie schliesslich an deren Folgen.

Lili Elbe ist die Geschichte einer grossen, alle Hindernisse überwindenden Liebe – Lili und Ex-Ehefrau Gerda waren sich zeitlebens liebend verbunden – und reiht sich damit in die grossen Werke des Opernrepertoires ein.

Gleichzeitig erlaubt die Oper einen Einblick in das Leben einer Frau, die als Mann geboren wurde, und ihr Coming-Out und ihre Transition zu einer Zeit hatte, in der geschlechtsangleichende Eingriffe noch völliges Neuland waren und es praktisch keinerlei Vorbilder gab.

Werk über Identität und Mut zu Pionierarbeit

Lili Elbe ist also auch ein Werk über Identität und den Mut, Pionierarbeit zu leisten. Die Uraufführung wurde spartenübergreifend inszeniert von Krystian Lada, der in St.Gallen bereits Florencia en el Amazonas und Messa da Requiem auf die Bühne brachte. Zum Kreativteam für die erste Produktion im Paillard-Bau gehören die Leiter zweier Sparten: Modestas Pitrenas dirigiert Pickers Partitur, dessen Musik Einflüsse von Mahler, Brahms, aber auch von Strawinski und Varèse aufweist, und Frank Fannar Pedersen gestaltet die Choreografie.

Transfrau Lucia Lucas (*1980) ist die Sängerin der Titelrolle. Sie feierte bereits grosse Erfolge als Heldenbaritonistin an Häusern wie der New Yorker Metropolitan Opera, der Lyric Opera Chicago oder der English National Opera. Sie wirkte ebenfalls als Dramaturgin der Autoren.

Auf der abstrahiert leeren Bühne, die durch Lichtspielereien und Videoeinblendungen bereichert wird, wird die Geschichte strukturiert und verständlich erzählt, unter Einbeziehung der Tanzkompanie St.Gallen, die als Alter Egos von Lili in verschiedenen Formen durch die Geschichte geistern.

Wer grosse Arien und eingängige Melodien erwartet, ist hier fehl am Platz; wer mit einer unkonventionellen Inszenierung und ebensolcher Musik – eine «neoromantisch-postmoderne Klangsprache», wie es der SRF formuliert – etwas anfangen kann, wird begeistert sein. Das Sinfonieorchester St.Gallen setzt die schwere Partitur jedenfalls plastisch und farbig um.

Das St.Galler Premierenpublikum verdankte die sehr modernistisch gehaltene Oper mit lang anhaltendem Applaus, der schliesslich in einer Standing Ovation mündete. 

stgallen24/stz. / Linth24