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Region
05.04.2023
06.04.2023 08:30 Uhr

«Man würde dem Zürcher Oberland Gewalt antun»

Giganten in der Landschaft: Die Windturbinen  bedrohen die Bachtel-Region.
Giganten in der Landschaft: Die Windturbinen bedrohen die Bachtel-Region.
Heisse Voten gegen kühlen Wind. Die kantonalen Pläne für Windturbinen im Zürcher Oberland versetzen den Hirschensaal in Hinwil in Aufruhr.

Im Gasthaus Hirschen herrschte am Dienstagabend Windstärke 11. Auf der Beaufortskala entspricht dies einem orkanartigen Sturm. Dies aber nicht, weil die Luft so zügig über den Bachtel bläst, sondern weil Landschaftsschützer Martin Maletinsky und Biologe John Spillmann gegen die geplanten 14 Windkraftanlagen in der Region herziehen.

Biologisch wertvollste Landschaft des Kantons

Der Besucherandrang machte deutlich, dass hier ein Thema angeschnitten wird, das die Menschen bewegt und beschäftigt. Anstatt der ein paar Dutzend erwarteten Besucher:innen sind 250 gekommen – so viele, dass die Organisatoren eiligst mehr Stühle aus dem Lager holen mussten. John Spillmann, der Biologe aus Rüti, fasst die Skepsis der vielen Gäste gegenüber den Windturbinen in die Worte: «Bei der Bachtel-Region handelt es sich um eine der biologisch wertvollsten Landschaften des Kantons Zürich – was Flora und Fauna betrifft. Würde man die Pläne so umsetzen, wie von der Kantonalzürcher Baudirektion geplant, würde man dem Zürcher Oberland Gewalt antun.»

230 Meter sollen die Windräder am Bachtel in den Himmel ragen. Dagegen sehen Gebäude wie die Uni Zürich oder das Grossmünster wie Spielzeuge aus. Bild: Freie Landschaft Zürich

Grossangriff auf Bevölkerung

Auch Martin Maletinsky, Präsident Freie Landschaft Zürich, legte wie ein Hurrikan vor. Er sprach von einem «Grossangriff auf die Bevölkerung und Landschaft des Kantons Zürich – und einem Frevel gegen die Natur.» Und weiter: «Obwohl selbst aus Windkarten des Bundes und aus früheren Potenzialschätzungen der Baudirektion hervorgeht, dass der Kanton Zürich sehr windschwach ist, will der Baudirektor Martin Neukom den Kanton – koste es, was es wolle – mit industriellen Grosswindkraftanlagen zupflastern.»

Nicht nur die Windturbinen sind ihm ein Dorn im Auge. Er kritisiert, dass für den Bau der Anlagen auch befestigte Zufahrtsstrassen für schwere Spezialtransporter nötig seien, die den Boden versiegelten und Naturräume entwerteten.

Der Kilchberger Familienvater und Informatiker ist für die Energieindustrie ein nicht zu unterschätzender Gegner. Er versenkte bereits die Seilbahn der Zürcher Kantonalbank über den Zürichsee – obwohl diese bereits beschlossen und finanziert war. Seine Präsentation ist hochprofessionell – und holt die Besucher:innen auch emotional ab: mit Grössenvergleichen der gigantischen Windturbinen mit dem Grossmünster oder der Universität Zürich, die daneben wie Spielzeugbauten aussehen. 230 Meter sollen die Windräder am Bachtel in den Himmel ragen.

Ein Raunen geht durchs Publikum

Durchs Publikum geht ein Raunen. Biologe John Spillmann nennt die Verunstaltung der Landschaft und die Gefahr für Tier- und Pflanzenwelt als Hauptargumente gegen die industrielle Nutzung der Windenergie. Auf den Vogelschlag angesprochen sagte er: «Es sind vor allem grosse Vögel betroffen – wie Adler oder die hier im Oberland häufig vorkommende Störche.» Es sei auch davon auszugehen, dass viele Vögel allein vom Anblick der monströsen Windräder vertrieben werden. Dazu  komme der Schattenwurf als nicht zu unterschätzender Faktor.

«Eine Windturbine ist wie eine Kopfwehtablette mit grossen Nebenwirkungen.»
Martin Maletinsky, Landschaftsschützer

Wie eine Kopfwehtablette mit Nebenwirkungen

Derweil macht Maletinsky auf die fehlende Effizienz dieser Art der Stromgewinnung aufmerksam: «Im Moment sind in der Schweiz 40 Windturbinen im Einsatz. Wären sie permanent in Betrieb, würden sie nur 1,5 Prozent des gesamten Energiebedarfs ausmachen.» Die Stromproduktion durch Wind sei dermassen klein, dass sie schlicht keinen Sinn mache. Es gehe um Güterabwägung: «Eine Windturbine ist wie eine Kopfwehtablette mit grossen Nebenwirkungen.» Maletinsky spricht dabei auch auf die Lärmemission an: «Das Geräusch ist wie ein tropfender Wasserhahn, dem man sich nicht entziehen kann.»

Die Besucherinnen und Besucher im Hirschensaal horchten gebannt. Viele schüttelten immer wieder den Kopf. Man spürt, dass sie emotional vom Thema berührt sind – und gar nicht erst daran denken wollen, dass schon bald Windräder auf dem Bachtel stehen. «Wir sind kein Windland!», ruft Maletinsky – und erntet breite Zustimmung.

«Wir müssen an den Bau von Kernkraftwerken der neuen Technologie denken. Nur so sind wir vor einer Energiemangellage sicher.»
John Spillmann, Biologe aus Rüti ZH

Städter wollen Windenergie

Der Volksmeinung entspricht diese Haltung aber offenbar nur bedingt. In einer repräsentativen Umfrage von Tamedia stellte sich Ende Januar eine Mehrheit der Stimmberechtigten im Kanton Zürich hinter die Pläne von Baudirektor Neukom. Auf die Frage «Der Kanton will 120 Windräder bauen, die 160 bis 220 Meter hoch sind. Befürworten Sie diese Pläne?» antworteten 70 % mit Ja oder eher ja, 29 % mit Nein oder eher nein. Besonders stark fiel die Zustimmung bei der Stadtbevölkerung aus.

Kernkraftwerke statt Windturbinen

Und exakt an diesem Punkt stellt John Spillmann die Studie in Frage: «Jene Menschen, die von den Turbinen nicht betroffen sind, befürworten die Technologie. In der Stadt Zürich beispielsweise ist keine einzige Anlage geplant.» Dass die Stromversorgung künftig aber nur mit modernen Technologien gesichert werden kann, gibt auch Spillmann zu. Deshalb sagt er etwas, das man von einem Biologen nicht unbedingt erwarten würde: «Wir müssen an den Bau von Kernkraftwerken der neuen Technologie denken. Nur so sind wir vor einer Energiemangellage sicher.»

Thomas Renggli