Vor bald einem halben Jahr brach der Bundesrat die Verhandlungen mit der EU über ein institutionelles Rahmenabkommen ab. Seither ist die Zukunft des bilateralen Wegs, welcher der Schweizer Wirtschaft bis anhin einen präferierten, barrierearmen Zugang zum EU-Binnenmarkt sicherte, in Frage gestellt. Was das konkret bedeutet, wird in der Schweiz rege diskutiert.
Doch wie beurteilt man die Lage aus Sicht der EU? Rund 100 Gäste folgten am 27. Oktober 2021 der Einladung der beiden Ostschweizer Industrie- und Handelskammern (IHK) in die St.Galler Lokremise, wo mit namhaften Gästen die Aussensicht auf die Schweiz diskutiert wurde. Unter anderem nahmen der EU-Botschafter Petros Mavromichalis und Jakob Kellenberger, ehemaliger Staatssekretär und Chefunterhändler bei den Bilateralen I, Stellung zum Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU.
Alles nur ein Missverständnis beim Rahmenabkommen?
Einleitend zog Georges Baur, Forschungsbeauftragter am Liechtenstein-Institut, Bilanz zu den Verhandlungen über das Rahmenabkommen. In der Schweizer Politik hätte es einige Missverständnisse über die Verhandlungen mit der EU gegeben – gewollte sowie ungewollte. Die Bilateralen seien nicht nur Marktzugangsabkommen, die Schweiz nehme über sie auch am Binnenmarkt teil – und dafür gäbe es Bedingungen, welche die Schweiz nicht erfülle.
«In der Schweiz wird seit 30 Jahren ignoriert, dass die EU klare Kriterien für die Binnenmarktteilnahme kennt. Diese Kriterien kann die EU in politischen Verhandlungen nicht preisgeben. Sie sind durch das europäische Recht definiert», erklärte Baur und legte so das inhaltliche Fundament für die folgenden Diskussionen.