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25.12.2023
26.12.2023 06:33 Uhr

Der Traum vom Fliegen – Teil 2

Heissluftballon der Brüder Montgolfier
Heissluftballon der Brüder Montgolfier Bild: Wikipedia
Oliver Ittensohn von Stadtarchiv St.Gallen hat die Geschichte der Fliegerei aufgearbeitet. Heute: Die ersten Ballone.

Die Legende schildert die Geschichte so: im November 1782 sitzt der französische Papierfabrikant Joseph Montgolfier (1740–1810) in seiner Wohnung und betrachtet ein Gemälde an der Wand. Es zeigt die Belagerung von Gibraltar, die Geflüchteten sind auf einem Felsvorsprung komplett von den Feinden umzingelt, an Rettung ist nicht zu denken.

Sein Blick fällt auf einen dargestellten Kamin, aus dessen Schornstein schwarzer Rauch aufsteigt. Sein Heureka-Moment: Könnten die Menschen diesen Rauch nicht nutzen, um sich mit Hilfe eines Behälters in die Lüfte zu erheben und so den Feinden zu entrinnen?

Wie auch immer diese Idee letztlich entstanden sein mochte, bald ereignen sich in der Papierfabrik der Gebrüder Montgolfier seltsame Dinge. Anwohnerinnen und Anwohner der Umgebung berichten von seltsamen Maschinen, die in die Lüfte schweben oder von über Feuern aufsteigenden Papiersäcken und ähnlichem. Zusammen mit seinem Bruder Jacques (1745–1799) testet Joseph verschiedenen Materialien – unter anderem müssen auch die Lieblingskleider ihrer Ehefrauen herhalten –, um ein Gerät herzustellen, das leichter ist als Luft.

Sie bauen verschiedene Prototypen und zeigen sie in ausgewählten Demonstrationen. Bald sind sie im Frankreich des 18. Jahrhunderts in aller Munde. Sie selbst dürfen ihre Erfindungen allerdings nicht testen: Sie hatten ihrem ängstlichen Vater versprechen müssen, niemals selbst in die Lüfte zu steigen.

Schnell rekrutieren sie Bekannte und Waghalsige, welche diese Wagnisse auf sich nehmen. Jean-Pierre Blanchard, einer der ersten Piloten, sollte mit dem Ballon bald überall auf der Welt Attraktionen in den Geräten der Montgolfiers vorführen. Die beiden Erfinder hingegen ziehen sich bald von der Ballonfahrt zurück. Ihr Interesse hatte nicht dem Fluggerät als Zirkusattraktion gegolten. In ihren Köpfen sollten die Ballone als Transportmittel für Handelswege dienen. Dieser Traum, so ihr Fazit, würde sich nicht mehr in ihrer Lebenszeit erfüllen.(1)

Luftfahrtpionier Eduard Spelterini (1852-1931) aus Bazenheid Bild: Wikipedia

An Ideen mangelt es indes nicht. Gerade in der Schweiz – dem Land der aufkommenden Dampfschiffe und Eisenbahnen – bringt das Bergbahn-Projekt «Rigi» den Architekten Friedrich Albert im Jahr 1859 auf eine waghalsige Idee: Warum nicht eine Ballon-Seilbahn konstruieren, bei dem die Bahnwagen mit Hilfe von Ballonen nach oben auf den Berg gezogen würden? Das Projekt bleibt zwar unverwirklicht, die Gebrüder Montgolfier hätten sich aber bestimmt gefreut.(2)

Im frühen 20. Jahrhundert ist die Popularität des Ballonflugs in vollem Schwung. Der Aufstieg eines Ballons auf Volksfesten und Jahrmärkten sorgt für grosse Augen und offene Münder. Der gebürtige Toggenburger Eduard Spelterini (1852–1931; mit bürgerlichem Namen Eduard Schweizer) nutzt diese Popularität und führt unzählige Ballonfahrten in der Stadt St.Gallen durch, häufig auch mit Passagieren. Zu seinen besonderen Leistungen zählen zahlreiche Alpenüberquerungen, bei denen er fleissig Luftaufnahmen macht und einzelne Wissenschaftler und ganze Forschungsequipen mitnimmt.(3)

Die Technik der Ballonfahrt weckt nicht nur das Interesse von Schaulustigen und Abenteurern, sondern bald auch des Schweizer Militärs. Bereits im Jahre 1900 wird die erste Ballonkompanie unter der Leitung von Oberst Théodore Schaeck (1856–1911) gegründet. Ihr Ziel ist die Beobachtung von Artilleriestellungen des Feindes.

Die ersten Erprobungen wurden als so erfolgreich bewertet, dass die Kompanie auf 600 Mann aufgestockt wird. Oberst Schaeck betätigt sich im Übrigen auch im zivilen Bereich und gründet den «Schweizerischen Aero-Club» zur Förderung der Luftfahrt. Zu seinen Zielen gehört neben der Förderung der Aviatik auch das Studium der Luftfahrt und der Meteorologie.(4)

Auf dem wissenschaftlichen Gebiet erbringt der Basler Physiker Auguste Piccard (1884–1962) Pionierleistungen. In einem Ballon von gigantischen Ausmassen startet er am 27. Mai 1931 in Augsburg und erreicht erstmals eine Höhe von 15'781 Metern – bis dahin Weltrekord. Seine Messungen von Druckverhältnissen in diesen Höhenlagen bereiten den Weg für die Konstruktion von Druckkabinen in modernen Flugzeugen.(5)

(1) Ittensohn, Oliver und Gersbach, Martina: Gossau und die frühe Fliegerei
(2) Ittensohn, Oliver und Gersbach, Martina: Gossau und die frühe Fliegerei
(3) Streit, Kurt, W.: Geschichte der Luftfahrt, S. 363.
(4) GEO Epoche, Ausgabe 86, 2017, S. 30–37.
(5) Streit, Kurt, W.: Geschichte der Luftfahrt, S. 362.

Spelterini vor dem Ballon Stella, 1904 Bild: Wikipedia

Lesen Sie morgen im dritten Teil: Bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter – Mit Fluggeräten um die Welt.

Oliver Ittensohn