Home Region Sport Schweiz/Ausland Rubriken Agenda
Kolumne
08.04.2022

«Alle wollen so rasch wie möglich retour»

Die Ukrainerin Svetlana Freimann (l.) berichtet über die dramatische Situation in der Ukraine.
Die Ukrainerin Svetlana Freimann (l.) berichtet über die dramatische Situation in der Ukraine. Bild: zVg
Die Ukrainerin Svetlana Freimann lebt seit 10 Jahren in der Region. Sie hat ihre Schwester mit dem letzten Flugzeug aus dem Kriegsgebiet gerettet. In der Linth24-Kolumne schildert sie ihre persönlichen Erfahrungen.
  • Kolumne von Svetlana Freimann

«Es läuft mir immer wieder kalt den Rücken runter, wenn ich daran denke, dass ich noch im Juli 2021 zum letzten Mal in Kiew war, zur Taufe meines Neffen. Es war alles wie immer – aus heutiger Sicht die «heile Welt», in der wir uns so wohl fühlten. Und heute, wenige Monate später, herrscht Krieg und Zerstörung. Das alles begreife ich immer noch nicht, ich fühle mich wie in einem Film. Ich denke, bei mir hat ein emotionaler Schutzmechanismus eingeschaltet.

Meine Schwester Olga und ihren beiden Kindern, die mit dem letzten Swiss-Flug die Ukraine verlassen konnten und nun hier bei mir leben, ihnen geht es gut. Wir müssen einfach alles gut aufeinander abstimmen, denn in unserer kleinen Wohnung ist nicht viel Platz.

Meine Mutter ist nun auch da

Meine Mutter, die in Kiew lebt, ist nun auch nachgekommen und das macht mich unwahrscheinlich glücklich. Ich bin sehr erleichtert, dass es wenigstens meine Mutter geschafft hat und sie nun auch in Sicherheit ist. Mama ist am Samstag angekommen, nach einer Reise, die sie aus Kiew mit dem Zug nach Polen führte und dann mit dem Flugzeug von Warschau weiter nach Zürich. «Es war wie eine Weltreise», erzählte sie mir. Und mit «Weltreise» meinte sie das erste kurze Stück des Weges aus Kiew heraus.

Vom Zug aus sah man dunkle Rauchwolken aufsteigen. Die Angst von Bombardierungen war stets präsent Bild: zVg

Diese kurze Distanz war für sie «die Weltreise», denn es war sehr gefährlich. Sich irgendwo in der Stadt zu bewegen, in einem Auto zu sitzen, als Privatperson, das ist ein sehr hohes Risiko. Doch auch später, im Zug, musste sie grosse Angst ausstehen. Unweit der Zugstrecke sah man überall dunkle Rauchwolken, dort wo gerade die Bomben eingeschlagen haben.

Sofort in den Luftschutzkeller

Mein Papa und der Mann von Olga, Vladimir, beide sind nach wie vor in der Ukraine, aber ich weiss, dass sie in Sicherheit sind. Papa wollte zuhause bleiben. Für meine Mutter ist es natürlich schwierig ohne ihren Mann. Sie hat über die Social-Media-Kanäle Kontakt mit ihm. Sie sagt ihm immer wieder, dass er sofort in den Luftschutzkeller gehen muss, wenn die Sirenen heulen. Man muss pünktlich eintreffen, um noch Einlass zu erhalten.

Wenn die Sirenen heulen, dann heisst es für den Vater sofort in den Luftschutzkeller. Bild: zVg

Standort streng geheim

Vladimir geht es gut, er bekommt Verpflegung, weiss, wo er übernachten kann. Von dieser Seite her ist alles gut. Aber wir sind uns bewusst, dass er in der gefährlichen Zone ist, also «Zone rot», wo immer etwas passieren kann. Aus Sicherheitsgründen dürfen wir aber nicht wissen, wo sein Standort ist, das ist streng geheim. Er darf keine Videos schicken, keine Sprachnachricht, da man immer Angst hat, dass jemand abhört. 

Versorgungslage noch in Ordnung

Die Versorgungslage in Kiew ist nicht so schlecht, wie zum Beispiel in Mariupol. Die Luftschutzkeller sind auch gut versorgt. Zudem haben wir in der Wohnung spezielle Leitungen, dadurch hat mein Vater auch immer Trinkwasser. Medikamente im Allgemeinen bekommt man noch, nur spezielle Medikamente, wie zum Beispiel Insulin, sind schwierig zu erhalten. Die Apotheken öffnen jeweils für zwei Stunden pro Tag, dann kann man sich dort mit dem diesbezüglich Notwendigen eindecken.

Hoffnung auf baldiges Ende

Ich hoffe, wie alle, dass der Krieg bald aufhört. Denn die Menschen aus der Ukraine, die fliehen mussten, sie alle wollen so schnell wie möglich wieder retour, zu ihren Männern, zu ihrer Familie, in ihre Dörfer und Städte. Wenn es lange geht, dann wird es für alle noch viel schwieriger.»

Svetlana Freimann