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03.03.2022

«Mit dem letzten Swiss-Flug aus der Ukraine gerettet»

Die Ukrainerin Svetlana Freimann (l.) berichtet über die dramatische Situation in der Ukraine.
Die Ukrainerin Svetlana Freimann (l.) berichtet über die dramatische Situation in der Ukraine. Bild: zVg
Die Ukrainerin Svetlana Freimann lebt seit 10 Jahren in der Region. Sie erzählt auf Linth24, wie sie ihre Schwester aus dem Kriegsgebiet rettete.

Svetlana Freimann stammt aus der Ukraine und lebt seit 10 Jahren in der Region. Es ist ihr gelungen, ihre Zwillingsschwester Olga und deren zwei kleine Kinder mit dem letzten Swiss-Flug in die Schweiz zu holen. Im Linth24-Interview beschreibt sie die dramatische Situation der letzten Tage.

Svetlana, Sie haben Ihre Zwillingsschwester Olga mit dem letzten Flug der Swiss aus der Ukraine herausholen können. Erzählen Sie uns von den letzten dramatischen Tagen. Was hat sich da genau abgespielt?
Gottseidank konnten wir sie noch rechtzeitig aus dem Land holen. Das war gar nicht einfach, denn niemand hat daran geglaubt, dass der Krieg wirklich kommen würde, auch die Menschen in der Ukraine nicht. Die Situation eskalierte dann aber in kürzester Zeit und es herrschte pure Angst und Verzweiflung. Dann haben wir uns unmittelbar entschieden, Olga und ihre beiden kleinen Kinder aus der Ukraine herauszuholen. Ihr Mann musste zurückbleiben, denn Männer dürfen ja das Land mittlerweile nicht mehr verlassen. Wir haben dann noch in letzter Sekunde die Tickets für die Drei ergattern können.

Das muss auch für Sie unerträglich gewesen sein…
Der Gedanke, meine Schwester mit den kleinen Kindern unter Bombenbeschuss zu wissen war für mich unerträglich. Es hat mich ein paar schlaflose Nächte gekostet, aber ich habe mich dann entschieden, jetzt sofort und definitiv zu helfen. Für Olga war es eben auch sehr schwer, ihr Heimatland aber insbesondere ihren Mann zu verlassen und in ein fremdes Land zu fliehen. Aber schlussendlich hat es dann doch geklappt.

Olgas Mann musste in der Ukraine zurückbleiben. Sind Sie mit ihm in Kontakt?
Wir haben über den Familienchat Kontakt mit ihm. Jedes Mal, wenn er sich meldet, dann haben wir eine riesige Freude. Denn das zeigt, dass er noch am Leben ist. Die Situation ist für ihn sehr gefährlich. Er war zum Beispiel im Zentrum von Kiew, als es eine Schiesserei gab.

Einerseits ist es für ihn gut zu wissen, dass seine Frau und die beiden Kinder in Sicherheit sind, aber er vermisst die Familie unwahrscheinlich. Olga und er kennen sich seit der Studentenzeit und sind jetzt eine kleine Familie, mit zwei Kindern, die brutal auseinandergerissen wurde.

Man hört hier von der heldenhaften Gegenwehr der Ukrainer insbesondere auch von der zivilen Bevölkerung. Was hören Sie, wie geht es den Menschen in der Nachbarschaft ihrer Familie?
Ich kriege als Ukrainerin guten Zugang zu Informationen – durch den Chat, durch viele Foren und Telegramm-Kanälen. Dort wird laufend berichtet und mit Videos und Fotos untermauert, was sich da abspielt. Die Angriffe werden immer stärker. Ganze Infrastrukturen sind zerbombt. Es trifft Zivilgebäude, Krankenhäuser, Kinderheime, sogar Krankenhäuser, das ist einfach unmenschlich.

Und Ihre Familie, was berichtet sie Ihnen?
Sie sind unwahrscheinlich tapfer und haben uns bis jetzt sogar geschont, um uns nicht noch mehr zu beunruhigen. Aber sie erzählen uns von den Bombardierungen, von der Flucht in den Luftschutzkeller. «Wenn wir Bombardierungen hören, dann gehen wir und die ganze Nachbarschaft nach unten» heisst es dann. Als ich dann aber von ihnen Fotos von ihrer Umgebung erhalten habe, da war ich regelrecht schockiert. Ich wusste, dass es ihnen schlecht geht, aber als ich dann die Bilder gesehen habe, war ich fassungslos.

Gibt es für sie noch genug Lebensmittel und medizinische Versorgung?
Meine Eltern sind momentan noch gut versorgt. Ich weiss aber, dass es immer enger wird. Viele Menschen brauchen Medikamente, Lebensmittel, Sachen für die Kinder, Babynahrung und vieles mehr. In den Geschäften ist alles komplett leer, zudem herrscht Sperrstunde, die war von fünf Uhr abends bis am nächsten Tag um 20.00 Uhr. Da konnte man nicht raus, kann keine Sachen organisieren, die fürs Leben notwendig sind. Auch die Zugangswege sind blockiert, wie zum Beispiel die U-Bahn-Stationen, da sind jetzt Menschen, die Schutz suchen.

Wie geht es den Kindern von Olga? Wie gehen sie mit diesen traumatischen Erlebnissen um?
Das Leben hat sich für die Kinder komplett geändert, aber ehrlich gesagt, realisieren sie noch nicht, was das alles für sie bedeutet. Die Tochter ist 11-jährig und der Sohn eineinhalb. Sie sind jetzt in Sicherheit, das ist erstmals das wichtigste und für sie ist einfach alles neu. Auch wenn es hart ist, dann jammern wir Erwachsenen nicht. Vielmehr denken wir jetzt an all die Kinder in der Ukraine, die es nicht oder noch nicht geschafft haben, das Land zu verlassen und die unter den erbärmlichsten Umständen leben müssen. Deshalb auch mein Appell: Alle, die in der Schweiz sind, können heute mit einer Spende aktiv mithelfen und ihr Mitgefühl zeigen.

Wie geht es nun mit Ihrer Schwester aber auch mit Ihrer Familie weiter?
Ihre Zukunft ist völlig offen. Vor zwei Wochen war das Leben von Olga und ihrer Familie noch komplett in Ordnung. Sie führten ein gutes Leben in der Ukraine und hätten nie gedacht, dass sie praktisch Hals-über-Kopf in die Schweiz fliehen müsste. Auch meine Familie ist noch dort – Mama und Papa wollen nicht ausreisen, aber schlussendlich geht es um ihre Sicherheit. Wir sind nun im ständigen Kontakt, um die Situation genau zu beobachten.

Svetlana Freimann ist in engem Kontakt mit ihrer Familie in der Ukraine und wird in regelmässigen Abständen für Linth24 über die Situation im Kriegsgebiet berichten.

Rolf Lutz, Linth24