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Gesundheit
20.05.2021
21.05.2021 14:51 Uhr

Dr. Zeller: «So chaotisch läuft es mit dem Impfen»

Dr. Christoph Zeller nimmt hinsichtlich Corona-Politik kein Blatt vor den Mund.
Dr. Christoph Zeller nimmt hinsichtlich Corona-Politik kein Blatt vor den Mund. Bild: Jérôme Stern/LInth24
Christoph Zeller ist Facharzt für innere Medizin sowie Geschäftsführer der Praxis am Bahnhof in Rüti. Die konfuse Impfstrategie des Kantons Zürich stellt ihn vor Herausforderungen.

Linth24: Christoph Zeller, mit Ihrer «Praxis am Bahnhof» stehen Sie quasi an vorderster Front hinsichtlich der Corona-Impfstrategie. Wie ist die Nachfrage derzeit?

Dr. Christoph Zeller: Extrem hoch. Ein grosses Problem in diesem Zusammenhang ist, dass wir seit Februar unsere eigene Plattform aufgeschaltet haben. Darauf kann man sich für eine Impfung bei uns anmelden. Wir erhielten über 2000 Anmeldungen, welche wir bearbeiten und priorisieren mussten. Allerdings erhielten wir vorerst keinen Impfstoff. Die Impfzentren begannen dagegen kurz darauf mit den Impfungen. Als wir endlich den Impfstoff bekamen, schrieben wir die ersten 100 Interessenten an. Von diesen waren aber schon 98 Prozent geimpft. 

Viel Aufwand für wenig Impfungen?

Genau, von unseren ersten 1000 Anmeldungen waren über 80 Prozent schon durch die Impfzentren geimpft worden. Das bedeutete für uns sehr viel Arbeit für nichts. 

Melden sich die Leute denn bei mehreren Stellen gleichzeitig an?

Alle melden sich überall an. Weil alle so schnell wie möglich eine Impfung wollen. Im Moment spürt man eine gewisse Entspannung, da es mehr Impfdosen gibt.

Der Stoff, aus dem die Gesundheitsträume sind. Bild: zVg

Wie laufen die Anmeldungen auf ihrer Plattform zurzeit?

Wir haben die Plattform geschlossen. Grund ist, dass der Kanton Zürich ab Anfang Mai ein neues Anmeldeprozedere aufgeschaltet hat. Tatsächlich weiss aktuell aber noch niemand, wie es genau funktioniert. Für uns bringt dieses System viel mehr Aufwand. Derzeit kann man sich nicht mehr bei uns direkt anmelden. Sobald wir eine gescheite Lösung gefunden haben, publizieren wir dies auf unserer Website. 

Nach welchen Kriterien wählen Sie Leute aus, wer erhält eine Impfung? 

Das ist sehr kontrovers: Bis vorletzten Freitag durfte man die über 50-Jährigen impfen. Bis dahin mussten wir jüngere Leute heimschicken. Eine Woche später hat der Kanton Zürich die Impfungen ab 18 Jahren bewilligt. Das ist nicht nur ein riesiger Sprung durch die Altersschichten, sondern auch ein Durcheinander. 

«Derzeit können wir keine neuen Anmeldungen berücksichtigen»
Christoph Zeller, Geschäftsführer der Rütner Praxis am Bahnhof

Wie sieht es mit der Versorgung mit Impfdosen aus, haben sie genug?

Nein. Wir haben im Moment keine mehr. Alle Anmeldungen, die wir vergaben, konnten wir impfen. Aber derzeit können wir keine weiteren Anmeldungen annehmen, weil wir keine Impfdosen haben. Es gibt diesbezüglich seitens des Kantons auch keine Planung. 

Aber irgendeinen Plan muss es doch geben.

Nein, den gibt es nicht. Ich kann Ihnen sagen, wie es am vorletzten Donnerstag ablief: Wir erhielten um 11 Uhr eine Mail mit der Nachricht, wir müssten jetzt Impfdosen für die Zweitimpfungen bestellen, und zwar bis spätestens 12 Uhr. Danach wurde die Plattform geschlossen. Wenn wir nicht zufällig innerhalb dieses Zeitrahmens das Mail gesehen hätten, hätten wir die Bestellung verpasst. Zwei Stunden später erhielten wir die Meldung, die Impfdosen kämen. Wiederum eine Stunde teilte man uns mit, die Lieferung erfolge am folgenden Samstag zwischen 9 und 11 Uhr. Für uns ging das noch, aber die meisten Praxen haben am Samstag geschlossen. 

Die Gesundheitsdirektorin des Kantons Zürich, Natalie Rickli, fährt eine konfuse Strategie. Bild: zVg

Wie gehen Sie mit dieser Situation um?

Mittlerweile wissen wir, wie es läuft. Man erhält jeweils ein Mail, am nächsten Tag würden die Impfdosen geliefert werden. Das heisst, wir müssen die Leute auf den übernächsten Tag aufzubieten. Ein weiteres Problem: Die Impfdosen sind theoretisch für fünf oder zehn Injektionen gedacht, wobei man immer eine mehr verabreichen kann. Demnach können wir immer nur jeweils sechs oder elf Personen impfen. Darum müssen wir immer die genaue Personenzahl planen. Bei den Impfterminen, die kurzfristig abgesagt wurden, haben wir die Impfdosis unserem Personal gegeben. So kam übrigens ich zu einer Impfung, und mittlerweile sind auch alle unsere Mitarbeiter geimpft. 

Werden Personen, die sich impfen lassen wollen bei Ihnen beraten?

Es gibt einen normierten Fragenbogen, den diese Personen erhalten. Aber tatsächlich ist bei den Meisten keine grössere Beratung notwendig, die wissen so ziemlich alles. Ganz selten müssen wir jemanden ablehnen: Zum Beispiel Hyperallergiker, die muss man unter Spital-Bedingungen impfen. Auch bei Schwangeren ist es derzeit umstritten, ob man sie impfen soll. 

Viele Leute wollen den Piks, doch für die Hausärzte ist Nachschub derzeit schwierig. Bild: zVg

Welche Nebenwirkungen haben Sie nach der Impfung beobachtet?

Zuerst muss man wissen, dass wir im Auftrag des Kantons Zürich in 63 Altersheimen geimpft haben. Dafür setzten wir den Pfizer-Impfstoff ein und haben ein paar allergische Reaktionen registriert. Bei dem Impfstoff von Moderna haben wir das noch nie beobachtet. Dafür gab es andere Reaktionen. Einige fühlen sich leicht «grippig». Das kommt relativ häufig vor und dauert in den meisten Fällen einen Tag. 

Angenommen jemand hat eine Gemüseallergie, kann er geimpft werden? 

Man müsste den Fall genau anschauen. Ich würde sagen, eine Gemüseallergie ist nicht so tragisch. Vermutlich würden wir ihn in der Praxis schon impfen, ihm aber vorher eine Infusion legen. Wer sich im Spital impfen muss, ist jemand, der nach einer Impfung schon mal reanimiert werden musste. Jemand, der eine ganz schwere allergische Reaktionen auf Medikamente entwickelt. 

Ist ihrer Meinung nach eine Durchimpfung notwendig, damit wieder Normalität einkehrt? 

Es braucht eine Durchimpfung bei älteren Personen, weil sie sonst schwerere Verläufe haben und bei jüngeren, damit sie die anderen nicht anstecken.

«Das Problem ist das Immunsystem, das falsch reagiert»
Christoph Zeller, Geschäftsführer der Rütner Praxis am Bahnhof

Was raten Sie Leuten, die anstatt auf eine Impfung lieber auf Alternativmedizin setzen? 

Vorsorgen kann man nicht. Das Hauptproblem dieser Krankheit ist die Überreaktion des Immunsystems. Die Krankheit an für sich wäre nicht schlimm, aber das falsch reagierende Immunsystem ist das Übel. 

Wie heikel ist eine Erkrankung an Corona generell? 

Die Krankheit ist für die allermeisten Menschen harmlos. Aber: Für die Alten und Kranken ist sie heikel. Wir testen ja auch und betreiben viele Testzentren. Bis jetzt haben wir über 20 000 Test gemacht und die allermeisten Positiv-Getesteten fühlen sich gesund. Sie haben keinerlei Symptome. Das betrifft wohlgemerkt vor allem junge Menschen. 

Was sind die grössten Risikofaktoren für eine ernsthafte Erkrankung?

Wahrscheinlich Diabetes und Herzkrankheiten. Ein einfacher Bluthochdruck ist weniger ein Problem, aber wenn jemand eine Kombination aus Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Diabetes und noch eine Lungenkrankheit hat, dann ist er wirklich schlecht dran. Das ist aber auch bei einer Grippe so. Im Grunde ist es wie eine Grippe, nur ist es viel stärker für diejenigen, die es betrifft. 

Jérôme Stern, Linth24