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07.11.2020
07.11.2020 07:25 Uhr

Stille Richterwahl im Kreis See-Gaster verunmöglicht

Patrizia Stiegler und Rolf Rüegg haben rechtzeitig ihre Kandidatur eingereicht
Patrizia Stiegler und Rolf Rüegg haben rechtzeitig ihre Kandidatur eingereicht Bild: Linth24
Da Rolf Rüegg und Patrizia Stiegler rechtzeitig ihre Wahlvorschläge eingereicht haben, kommt es nach Jahrzehnten zu einer offenen Richter-Volkswahl im Kreis See-Gaster.

Im Kreis See-Gaster gibt es am 29. November 2020 das erste Mal seit Jahrzehnten wieder einmal offene Volkswahlen für ein Richteramt. Rolf Rüegg aus Gommiswald und Patrizia Stiegler aus Schmerikon haben rechtzeitig ihre Wahlvorschläge eingereicht und damit den Parteien die übliche stille Wahl verunmöglicht.

Stille Wahl die Regel

Richter können jeweils schon im ersten Wahlgang still gewählt werden. Das heisst: Sie werden schon im ersten Wahlgang vom absoluten Mehr ausgenommen, weil das in der Praxis wie folgt funktioniert: 

Die Parteien bzw. die Parteivorstände verteilen die Richterposten unter sich und vergeben sie an eine ihnen genehme Personen. Und weil der zeitliche Vorlauf von der Einreichung der Kandidatur bis zum Amtsantritt fast ein Jahr ist, können diese Wahlen still durchgeführt werden, bevor jemand auf die Idee kommt, diese Stille zu stören.

Volk muss dulden

Diese Besonderheit führt dazu, dass sanktgallische Richter unter Umständen seit Jahrzehnten tätig sind, aber sich tatsächlich nie dem Volk in einer offenen Wahl stellen und nie ein absolutes Mehr erreichen mussten. Sie wurden gar nie gewählt, sondern durch Parteivertreter «ernannt». Bei diesem System hat das Volk zu dulden, was ihm von den Parteien «vorgesetzt» wird.

Die Kandidaten:

Rolf Rüegg
1967, Rechtsanwalt, öffentlicher Notar, Gommiswald, parteilos
Kandidat als Kreisgerichtspräsident und hauptamtlicher Richter

Rolf Rüegg arbeitet seit vielen Jahren als selbständiger Anwalt und betreibt eine eigene Kanzlei mit Notariat in Uznach. Er ist eingetragen im Register der Rechtsanwälte und Notare und ist Mitglied im Schweizerischen und St.Galler Anwaltsverband sowie im Forum Strafverteidigung.

Patrizia Stiegler
1967, Juristin (MLaw), dipl. Betriebsökonomin FH und Steuerberaterin, Schmerikon, parteilos
Kandidatin als nebenamtliche Richterin

Patrizia Stiegler arbeitet seit vielen Jahren als selbständige Steuerberaterin und gründete 2004 zusammen mit Partnern die Tax Competence AG mit Sitz in Schmerikon. Daneben amtet sie als Verwaltungsrätin in anderen Gesellschaften und unterrichtet an der Fachhochschule Zürich und der Academy of Excellence.

An der Dominanz der Parteien hätte sich nichts geändert

Mit dem «System St.Gallen» haben sich die Parteien dafür entschieden, dass Richter geradezu klandestin eingesetzt werden. Damit können sie ihre Parteipolitik an den Gerichten fortsetzen. So wird auch wirksam verhindert, dass kantige, unparteiische Persönlichkeiten auf dem Richterstuhl Platz nehmen, die dann eben tatsächlich (partei)unabhängige Justiz betreiben.

Man darf sicher die Frage stellen, ob sich mit diesem System eine Parteienjustiz etabliert hat oder ob die Justiz so tatsächlich noch unparteiisch im politischen Sinne ist. Mit der Unabhängigkeit der Richter ist es auf diese Weise nicht gut bestellt. Ein Richter, der nicht im Sinne der Partei «richtet», sondern sich der Sache verpflichtet sieht, läuft Gefahr, von seiner Partei nicht mehr vorgeschlagen zu werden. An der Dominanz der politischen Parteien bei der Besetzung der Kreisgerichte in St.Gallen hätte sich nichts geändert, wenn sich nicht zwei Parteilose diesem Wahlkampf gestellt hätten.

Im Kanton St.Gallen werden Regierungsräte, Ständeräte, Gemeindepräsidenten, Gemeinderäte und Richter im Majorz gewählt. Ein Kandidat muss im ersten Wahlgang vor das Volk und das absolute Mehr erreichen, d.h. mehr als die Hälfte aller Stimmen auf sich vereinigen, um gewählt zu werden. Erst im zweiten Wahlgang genügt das einfache Mehr. Darum gibt es erst im zweiten Wahlgang die Möglichkeit der stillen Wahl. Stille Wahl heisst, dass wenn gleich viele Kandidaten antreten wie Sitze zu vergeben sind, diese als gewählt gelten.

Linth24/pd