«Ethik, Religionen, Gemeinschaft», kurz ERG, wird seit der Einführung des Lehrplans Volksschule im Sommer 2017 im Kanton St. Gallen als Wahlpflichtfach «ERG Kirche» bzw. «ERG Schule» angeboten und getrennt unterrichtet. Erziehungsberechtigte müssen entscheiden, ob ihr Kind das Fach bei einer Lehrperson der Volksschule oder bei einer der beiden Landeskirchen besucht. Dieses «St. Galler Modell» ist schweizweit ein Sonderfall.
ERG im Klassenverband durch Schule erteilt
Im Mai wurde die Motion 42.20.08 eingereicht, welche die Forderung in den Raum stellt, dass ERG ab 2021/22 im Klassenverband durch die Schule erteilt werden muss. Der eigentliche Religionsunterricht soll weiterhin als Freifach bestehen bleiben und von den Landeskirchen unterrichtet werden können.
Ball liegt nun beim Bildungsrat
Nachdem das Vernehmlassungsverfahren zur Anpassung des Lehrplans abgeschlossen ist, liegt der Ball nun beim Bildungsrat und bei der Regierung. Mit Spannung darf die Regierungsantwort auf die in der Mai-Session eingereichte ERG-Motion erwartet werden. In der November-/Dezembersession befindet das Kantonsparlament darüber.
Mit Verwirrungen & Halbwahrheiten diskutiert
Diverse Exponenten verschiedener Interessengruppen bringen sich im Hinblick auf diese emotionsgeladene Entscheidungsfindung nun in Stellung. Wie im Vorfeld solcher Abstimmungen leider nicht selten, wird in der öffentlichen Diskussion teils auch mit Verwirrungen oder Halbwahrheiten argumentiert.
Hervorgehend aus der Bildungsgruppe des St. Galler Kantonsrates hat sich nun eine überparteiliche Gruppierung bestehend aus kantonalen Bildungspolitikern/-innen aus fünf Parteien formiert. Im Folgenden legt sie ihre Argumente zur Gutheissung der Motion dar:
Pädagogische Überlegungen
- Die Kritik richtet sich in diesem sehr bedeutenden Fach nicht gegen die Landeskirchen. Das Störende ist die Teilung der Klassen, und dies, ausgerechnet in dem Fach, das Gemeinschaft im Namen trägt. Es ist fruchtbar und auch wichtig, ethische, religiöse und gemeinschaftliche Themen mit der ganzen Klasse zu besprechen. Die Schülerinnen und Schüler sollen ihre Erfahrungen austauschen, miteinander und voneinander lernen und von einer Volksschullehrperson unterrichtet werden.
- Eine Lehrperson der Volksschule, vorzugsweise eine Klassenlehrperson, welche die gleichen Schülerinnen und Schüler auch in anderen Fächern unterrichtet, kennt die Klasse und somit auch deren Stärken, Schwächen und Verhalten besser und kann sie folglich auch gezielter und wirkungsvoller unterrichten, führen und begleiten.
Politische Überlegungen
- Erfahrungsgemäss ist es so, dass häufig reformierte und katholische Schüler ERG-Kirche besuchen, muslimische und konfessionslose ERG-Schule. Das ist nichts anderes als Separation in einem hochsensiblen Bereich und kann Nährboden für Parallelgesellschaften sein. In immer mehr Gemeinden bilden konfessionslose und einer anderen Religion zugehörige Schülerinnen und Schüler die Mehrheit.
- Der Einbezug der Landeskirchen im obligatorischen Fach ERG stellt die konfessionelle Unabhängigkeit der Schule in Frage. Es ist nicht mehr zeitgemäss, dass in einer säkularen Gesellschaft den Konfessionen ein solches Gewicht im Lehrplan der Volksschule gegeben wird, wie das gegenwärtig im Kanton St. Gallen der Fall ist.
Organisatorische Überlegungen
- Der mit der Zweiteilung verursachte organisatorische Aufwand ist für die Schulen nicht unerheblich und hat zur Folge, dass für die ERG-Lektionen bis doppelt so viel Schulraum und Lehrpersonen benötigt werden.
- Viele Erziehungsberechtigte, aber auch Schülerinnen und Schüler, sind mit der Wahlpflicht überfordert. Der Unterschied zwischen den beiden Angeboten ist für sie nicht ersichtlich. Sie machen ihre Wahl abhängig davon, welche Lehrperson unterrichtet oder in welcher Gruppe sich das «Gschpänli» anmeldet.
- Bei den in der kantonalen Lektionentafel für die Primarschule festgeschriebenen sieben Jahreslektionen Religion gibt es keine Änderung. Und auf der Oberstufe könnte Religion in Zukunft als Frei-/Wahlfach angeboten werden. Die Landeskirchen dürfen zu diesem Zweck die Schulräumlichkeiten benutzen und erhalten auch einen reservierten Platz im Stundenplan. So könnten die Landeskirchen den Unterricht noch besser ihren Bedürfnissen anpassen.
«Aufgrund der oben genannten Gründe ist es dringend erforderlich, dass das Fach ERG künftig in der ganzen Klasse durch eine Lehrperson der Volksschule, vorzugsweise der Klassenlehrperson, unterrichtet wird.» So ist die Meinung der 15 kantonalen Bildungspolitikern/-innen, welche von unterschiedlichen Parteien kommen: von der SVP, SP, FDP, CVP und GLP.