Edgar Bonjour schrieb in seiner «Geschichte der schweizerischen Neutralität»: «Es hat vielen Schweizern im Innersten widerstrebt, Blut fliessen zu lassen. Deshalb ist vorgeschlagen worden, die Täter sollten zwar zum Tode verurteilt, aber zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt werden mit der Bedingung, dass die Todesstrafe sofort an ihnen zu vollziehen wäre, wenn das Land von derjenigen Seite angegriffen werden sollte, nach welcher sie es verraten hatten.» Bonjour, mit seiner Abneigung gegen die Todesstrafe, trat damals öffentlich für diesen Vorschlag ein, fand damit «aber nur wenig Zustimmung».
Landesverrat?
Das Militärstrafgesetz kannte 1940 neben dem «militärischen Landesverrat» den Verrat «militärischer Geheimnisse». Für diese Tatbestände wurde «auf lebenslängliches Zuchthaus oder auf Todesstrafe» erkannt. Ernst S. hat «militärische Geheimnisse» verraten und wurde deswegen hingerichtet.
Haben jene hohen Offiziere, von denen einer versuchte, «in defaitistischem Sinn auf Armeeleitung und Bundesrat einzuwirken» und «unentwegt für die ‘Anpassung’ an das Dritte Reich» eintrat, oder jener Korpskommandant, der ein «gefährlicher Widersacher» des Generals war und den die Reichsführung nach Ausschaltung Guisans gerne als Oberbefehlshaber (als Militärdiktator) gesehen hätte – haben solche Leute, frage ich mich, Landesverrat begangen?
Es gab damals immer noch hohe Schweizer Offiziere, die mit Vertretern der deutschen Wehrmacht oder der NSDAP privat verkehrten. Der Berner Nationalrat Markus Feldmann, der von 1951 bis 1958 Bundesrat war, schrieb 1943 General Guisan: «Wenn ich mir vergegenwärtige, welche geradezu haarsträubenden Dinge bei der Behandlung der Begnadigungsgesuche über die Organisation der deutschen Spionage gegen die Schweiz bekanntgegeben werden mussten […] so kann ich nur mit einem Gefühl der Erbitterung und Empörung mir vorstellen, dass schweizerische Offiziere unter den heutigen Umständen einen gesellschaftlich-kameradschaftlich betonten Verkehr mit dem deutschen Militärattaché als mit der schweizerischen Würde vereinbar halten.»
Edgar Bonjour sagte 1975 im Zusammenhang mit der Erschiessung des Ernst S. zu Niklaus Meienberg: «Die Groβe laat me loufe, die Chlyne blibe bhange», womit er sich «in die vaterländischen Dornen gesetzt» hatte… Im Übrigen war er überzeugt, die Folgen des Vergehens von Ernst S. «seien ungleich geringfügiger gewesen als die Folgen des beabsichtigten Schrittes jener hohen Offiziere gewesen wären».
Sapienti sat!