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29.12.2023
30.12.2023 07:03 Uhr

Der Traum vom Fliegen – Teil 6

Die Häfeli DH-3
Die Häfeli DH-3 Bild: Wikipedia
Oliver Ittensohn vom Stadtarchiv St.Gallen hat die Geschichte der Fliegerei aufgearbeitet. Heute: Die Schweizer Luftwaffe hebt ab.

Im Jahr 1914 bricht der 1. Weltkrieg aus. In der Schweizer Armee sind zu diesem Zeitpunkt keine Flugzeuge im Einsatz, denn der Aufbau einer Fliegertruppe ist in Politik und Armee heftig umstritten.

Die Bundesversammlung verweigert in der Wintersession 1911 einen Kredit für die Einrichtung einer Fliegertruppe. Daraufhin lanciert der Schweizerische Offiziersverein im Folgejahr «Die Nationale Flugspende». In verschiedenen Landesgegenden werden Veranstaltungen mit Schaufliegen veranstaltet, deren Erlöse an die Flugspende gehen. Parallel werden spezielle Briefmarken herausgegeben.(1)

Der Aufbau der Fliegertruppe ist ein Wagnis. Trotzdem spenden Schweizer und Schweizerinnen eifrig Geld. Private Initiative und Pioniergeist einerseits, andererseits Amateurentum und wenig Professionalität sind die Gegensätze, welche die Schweizer Aviatik in dieser frühen Phase prägen. Anfang August 1914 erhält Kavallerieinstruktor und Hauptmann Theodor Real (1881–1971) den Auftrag, eine Luftwaffe aufzustellen.

Problem Nummer eins: Flugzeuge stehen keine zur Verfügung. Kurzerhand werden die an der Landesausstellung in Bern ausgestellten ausländischen Modell beschlagnahmt.

Problem Nummer zwei: Eigentliche Piloten gibt es noch keine, man rekrutiert Pioniere, die sich mit Flugzeugen auskennen oder den Wunsch haben, sich darin ausbilden zu lassen. Die Fliegertruppe startet mit insgesamt 9 Piloten, mehrheitlich Westschweizer, die ihre Flugzeuge und Mechaniker gleich selbst mitbringen.(2)

Im Dezember 1914 bezieht die Fliegertruppe ihr Quartier in Dübendorf. Teils werden nun Flugzeuge selbst gebaut (DH-3) sowie aus dem Ausland zugekauft. Allerdings werden nur wenige Einsätze durchgeführt. Stattdessen konzentrieren sich die Piloten auf den Ausbau und die Ausbildung. Am Kriegsende verfügt die Schweiz über 62 Piloten und 68 Flugzeuge.

In der Zwischenkriegszeit rüstet die Luftwaffe auf. Im Jahr 1936 wird die Abteilung für Flugwesen und Fliegerabwehr gegründet. Die Flotte besteht aus Eigenentwicklungen und zugekauften Modellen wie dem französischen Jäger Morane 406 oder der deutschen Messerschmitt Me 109. Während des 2. Weltkriegs bringt die schweizerische Luftwaffe ungefähr 250 fremde Militärflugzeuge zur Landung oder zum Absturz über Schweizer Gebiet.(3)

Inzwischen: Die Entwicklung der Flugzeuge schreitet voran, der 1. Weltkrieg führt zu einem Forschungs- und Bauboom. Ingenieure auf der ganzen Welt sind nun dabei, die Fluggeräte der Abenteurer und Hobbybauer zu professionalisieren. Die geplante Anwendungsszenarien sind universell: Sie sollen im Luftkampf den Feind besiegen und als Transportmittel für Menschen und Waren die Verkehrswelt revolutionieren. Eine Sonderstellung nimmt dabei das Luftschiff ein, das der württembergische Graf Ferdinand von Zeppelin zu Ruhm führt.

Die Do X 1930 über der Freiheitsstatue im Hafen von New York Bild: Dornier

In Zeppelins Firma bewirbt sich im Jahr 1910 der junge Deutsche Claude Dornier. Schnell wird er einer der talentiertesten und fortschrittlichsten Ingenieure in Zeppelins Unternehmen und erhält eine eigene Abteilung mit Namen «Do». In diesem Forschungsprojekt soll Dornier eine Mischung zwischen Luftschiff und Flugzeug entwickeln, die auf Wasser starten und landen kann. Graf Zeppelin schwört Dornier auf das Vorhaben ein: «Ich will der Marine einen Flugapparat anbieten, mit dem sie eine Tausend-Kilogramm-Bombe über den Docks von London abwerfen kann. Sie müssen mir die Maschine bauen.»(4)

Dornier kämpft in der Folge jedoch mit technischen und aerodynamischen Schwierigkeiten. Erst drei Jahre später können erste Prototypen getestet werden. Zu einem Kriegseinsatz kommt es nicht mehr. 1918 werden die Geräte von den Alliierten eingezogen und für zivile Zwecke verwendet. Dornier, inzwischen Geschäftsführer der Zeppelinfabrik in Lindau, baut weiter Flugzeuge. Um den Vorlagen der Alliierten zu entgehen, lässt er die Flugzeugteile in Italien und der Schweiz fertigen und per Boot nach Süddeutschland bringen. 1922 kauft er das Zeppelin-Werk in Lindau und tauft es «Dornier».

Das Jahr 1925 sollte ihm die Möglichkeit bieten, an sein begonnenes Projekt Grossflugzeug anzuknüpfen. Er erhält vom deutschen Verkehrsministerium den Auftrag, ein solches zu bauen. Intern erhält es den Namen «Do X». Im Jahr 1929 hebt die «Do X» ab und bleibt rund 40 Minuten in der Luft.

Technisch ist die Flugmaschine seiner Zeit voraus: Sie kann bis zu 150 Passagiere befördern, zeitgenössische Fluggeräte kaum mehr als 10. Zudem kann sie ungefähr 2’000 Kilometer am Stück zurücklegen und sogar im Wasser zwischenlanden und aufgetankt werden. Dies alles bringt kommerziell trotzdem keinen Durchbruch. Einzig Italien kauft zwei Modelle. Die Konkurrenz ist günstiger und kann auch an Land starten und landen. Eben da, wo jetzt überall neue Flugplätze entstehen.

Auch der Atlantikflug bringt nicht den grossen Gewinn. Zwar bricht die «Do X» auf Werbeflüge auf, aber die amerikanischen Flugzeugwerke «Boeing» und «Douglas» sowie die «Deutsche Luft Hansa» dominieren zunehmend den Markt. Die drei hergestellten Exemplare der «Do X» erleiden ein tragisches Ende, die beiden in Italien werden bald verschrottet und die deutsche «Do X» wird in der Berliner Luftfahrtsammlung ausgestellt – bis alliierte Bomber das Flugzeug 1944 vollständig zerstören.(5)

Ein Teil der Geschichte der Dornierwerke wird in der Ostschweiz weitergeschrieben. 1926 wird in Altenrhein das Flug- und Fahrzeugwerk gegründet. Mit seinen über 1'000 Mitarbeitenden gehört es bis in die 1940er-Jahre zu den bedeutendsten Unternehmen in der Ostschweiz. Sie fertigen im Lizenzbau Flugzeuge verschiedener Hersteller, unter anderem auch Versionen der «Dornier X».

(1) Ruoss, 100 Jahre Luftfahrt, S. 118.
(2) Ruoss, 100 Jahre Luftfahrt, S. 152.
(3) Streit, S. 375.
(4) Zit. nach GEO Epoche, Ausgabe 86, 2017, S. 99.
(5) GEO Epoche, Ausgabe 86, 2017, S. 96-103.

Lesen Sie morgen im siebten und letzten Teil: Die zivile Luftfahrt – Swissair.

Oliver Ittensohn