Die Grossmächte hatten aber auch kein Interesse daran, dass sich diese Bewegung in der Schweiz durchsetzen konnte, und unterstützten darum den Sonderbund. Die liberal-radikalen Kräfte liessen sich von den Grossmächten allerdings nicht beeindrucken. Das zeigt eine Überlieferung aus dem Jahr 1847. Sie findet sich im Buch «Stunde Null» von Rolf Holenstein zur Gründung des Bundesstaats. Die Grossmacht Frankreich intervenierte damals nämlich direkt beim radikal-liberalen Bundespräsidenten Ulrich Ochsenbein und drohte der Schweiz relativ unverhohlen mit Konsequenzen, falls sie nicht spuren sollte. So soll der französische Gesandte Ochsenbein darauf hingewiesen haben, dass sich die Schweiz nicht täuschen sollte – ich zitiere – «bezüglich der Absicht der alliierten Mächte, in der Schweiz zu intervenieren». Das liess sich Ochsenbein allerdings nicht gefallen und machte den Vorfall kurzerhand über die Presse öffentlich. Demnach soll Ochsenbein dem Franzosen erwidert haben, ich zitiere nochmals: «Wenn die alliierten Mächte Va-banque spielen wollen, so werden wir mitspielen.»
So viel zum Selbstbewusstsein der Liberal-Radikalen!
Der Schweiz kam dann zugute, dass die Konflikte im umliegenden Ausland eskalierten und die Grossmächte genügend eigene Sorgen hatten. Und so machte sich 1848 in Bern eine 23-köpfige Kommission von Kantonsvertretern an die Ausarbeitung der ersten Bundesverfassung der Schweiz. In nur 51 Tagen schaffte diese Kommission ein politisches Kunstwerk, das zum Grundstein wurde für die Erfolgsgeschichte der Schweiz bis heute. Es war ein revolutionärer Vorgang und – wie die Geschichte zeigt – auch ein Wagnis.
Die Schweiz ist heute nicht mehr die gleiche Schweiz wie damals. Sie hat sich ständig gewandelt. Die Gesellschaft hat sich gewandelt. Und in aller Regel zum Besseren. Die Rechtsgleichheit, die damals, 1848, noch nicht für Juden galt, gilt heute für alle. Das Stimm- und Wahlrecht, das damals nur für Männer galt, gilt seit 1971 auch für die Frauen, spät aber immerhin.
Wir haben dank dem Ausbau der direkten Demokratie und der Konkordanz deutlich mehr politische Mitsprache als damals, und wir profitieren von einer ausserordentlich hohen politischen Stabilität. Wir haben ein Bildungs- und ein Gesundheitswesen, um das uns viele beneiden. Wenn es eng wird wirtschaftlich, müssen wir nicht mehr auswandern, wir können uns auf ein gutes soziales Netz verlassen.
Und – das ist das Wichtigste – wir leben in Freiheit und Frieden!
Dass das nicht selbstverständlich ist, hat uns der russische Krieg gegen die Ukraine schlagartig wieder bewusst gemacht. Und dennoch erleben wir heute Zeiten, die viele verunsichern.
Die Krisen haben sich in den letzten drei Jahren quasi die Hand gegeben. Zuerst die Pandemie, die nicht mehr aufzuhören schien, der brutale Krieg mitten in Europa, die Energieknappheit und im März auch noch die Credit Suisse. Viele von uns besorgt aber auch der Klimawandel, die Migration, die steigenden Preise, die Veränderung unserer Lebens- und Berufswelt.
Darum ist es wichtig, den Blick nicht nur zurück zu richten in die Geschichte, sondern auch nach vorne.