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Rapperswil-Jona
28.06.2023
29.06.2023 18:53 Uhr

«Das Trauma kann nicht vergessen werden» – UNESCO Anerkennung hilft

Szene aus «Surviving Bokator»
Szene aus «Surviving Bokator» Bild: Surviving Bokator
Sie ist eine waschechte Rapperswil-Jonerin. Sie zog aus, um die Welt zu erobern. Und sorgt in Nordamerika und Kambodscha als Filmproduzentin für Furore. Nun präsentiert Sandra Leuba (48) ihren preisgekrönten Dokumentarfilm «Surviving Bokator» in Rapperswil-Jona.

Sandra Leuba, Sie präsentieren den preisgekrönten Dokumentarfilm  «Surviving Bokator» –über  eine fast 2000 Jahre alte kambodschanische Kampfkunst. Wie kamen Sie auf die Idee für dieses Projekt?
Eine gute Frage, denn wir sind nicht wirklich «Kampfkünstler». Ich habe zwar den ersten Gurt in Bokator. Mark Bochsler, der Direktor, hatte immer eine visuelle Faszination mit Martial Arts (Kampfkunst/die Red.), und die Ursprungsidee war ein Foto-Essay zu machen. Für alle asiatischen Länder auf unserer ‘Liste’ kannten wir mindestens eine Kampfkunst - abgesehen von Kambodscha. Durch unsere Recherche stiessen wir aber darauf, dass Kambodscha sehr wohl eine alte Kampfkunst besitzt und dass sich der Grossmeister San Kim Sean aktiv ums Wiederbeleben von Bokator bemühte. So entstand der Plan, einen Kurzfilm über diese ausgestorbene Tradition zu machen. Doch wer hätte gedacht, dass Bokator uns während 13 Jahren beschäftigt und aus dem Kurzfilm Projekt ein Langformat-Film würde, der aus über 400 Stunden Filmmaterial entstand?

Inwiefern geht es im Film ums Überleben?
«Überleben» ist ein Thema, das sich durch den Film zieht. Es ist eine Metapher zur Frage, ob die traditionelle Kampfkunst gerettet und für die Zukunft erhalten werden kann? Jedoch nur, wenn die junge Generation die Tradition lernen will und sie selber weiter an die nächste Generation transferieren möchte. San Kim Sean sagt viel «surviving Bokator» aber meint eigentlich «saving», also retten für die Zukunft. Bei der Wahl des Titels haben wir uns entschieden, «Surviving» anstatt «Saving» zu verwenden, da es eine tiefgründigere Bedeutung hat und gut bei den Kambodschanern ankommt.

Überleben, oder eben «Surviving» ist auch passend zur kambodschanische Vergangenheit.  Die Kambodschaner sind eine Nation von Überlebenden. Der Grossmeister und die ältere Generation ‘überlebten’ die unglaublich traumatische  Zeit mit dem kambodschanischen Genozide, bei dem zwischen 1975 und 1979 geschätzte zwei Millionen Menschen ums Leben kamen, oder ein Viertel der Bevölkerung. 

Was erwartet den Zuschauer. Eine technische Anleitung des Sports?
Nein, absolut nicht. «Surviving Bokator» ist ein Dokumentarfilm, jedoch geschnitten wie ein Spielfilm. Es ist eine berührende und persönliche Geschichte des Wiederbeleben von Bokator und die Wichtigkeit, dass die Generationen zusammenarbeiten, um die ausgestorbene Kultur zu erhalten. Dieser Film wurde über fünf Jahre hinweg gedreht und zeigt die Bemühungen dieses Nachkriegsvolkes, seine traditionelle Identität wiederzuerlangen und seinen Platz in einer modernen Welt zu finden.

Können Sie dem helvetischen Traditionslisten, dem Schwingen näher steht, Bokator kurz erklären?
Es wird angenommen, dass Bokator (Kun L’bokator in Kambodschanisch, was heisst ‘einen Löwen schlagen’) vor mehr als 1700 Jahren auf den Schlachtfeldern des alten Khmer Empires begann, und dank dessen später grosse Teile von Südostasien und Südchina beherrschten. Ein genauer Blick auf die Schnitzereien in den Tempeln von Angkor offenbart eine vielfältige Bokator-Technik, die die Kampfstile von Tieren nachahmt und sich in den Namen von Positionen wie Tiger, Drache, Adler oder Krokodil widerspiegelt.

Gerüchten zufolge gibt es bis zu 10'000 verschiedene Techniken. Im Gegensatz zu Pradal Serey – der Wurzel des Khmer Kickboxens (Kun Khmer) – ist Bokator eine breitere Kampfkunst und zeichnet sich durch Nahkämpfe und den Einsatz von Waffen aus, darunter Bambusstäbe und kurze Stöcke,  Speere oder Äxte. Ausserdem nutzt Bokator jedes einzelne Körperteil als Waffe und ist mit seinem breiten Spektrum an Ellbogen- und Knieschlägen effektiv. Wie bei den meisten Kampfkünsten ist die geistige und körperliche Stärke und Disziplin seiner Praktizierenden durch Selbstverteidigungstechniken und eine Philosophie der Gewaltlosigkeit zu entwickeln.

 

  • v.l.n.r. Mark J. Bochsler, Regisseur; Little Frog, Bokator Kämpferin; Sandra Leuba, Produzentin Bild: Surviving Bokator
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  • Die uralte kambodschanische Kampfkunst Bokator Bild: Surviving Bokator
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  • Kampfszene Surviving Bokator Bild: Surviving Bokator
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  • Aufnahmen bei Surviving Bokator Bild: Surviving Bokator, Filmaufnahmen
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  • Die alte kambodschanische Kampfkunst Bokator Bild: Surviving Bokator
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  • Kämpfer aus Surviving Bokator Bild: Surviving Bokator
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  • Bokator Grossmeister San Kim Sean Bild: Surviving Bokator
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  • Produzentin Sandra Leuba und Regisseur Mark J. Bochsler: das Power-Team erschuf einen mehrfach preisgekrönten Film Bild: Surviving Bokator
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Inwiefern lässt sich an dieser Kampfform die kambodschanische Geschichte ableiten?
Die vielen Reliefs und Schnitzereien in den Tempeln von Angkor zeigen gewisse Verwendung und Techniken von Bokator. Die Kampfkunst wurde von Generation zu Generation überliefert, bis die französische Besetzung das Boxen brachte. Während den grauenvollen Jahren unter der Roten Khmer in den 1970er Jahren wurde Bokator-Meister aus Angst vor einer Revolution systematisch getötet und Bokator nahezu ausgerottet. Diejenigen, denen die Flucht gelang und flohen, oder versteckten sich und hüteten streng die Geheimnisse der alten Kampfkunst.

Wie sehr hat die Gewaltherrschaft der Roten Khmer in Kambodscha die Menschen verändert?
Obwohl fast 50 Jahre her, kann das Trauma nicht vergessen werden. Von der älteren Generation leiden noch heute viele unter schmerzhaften psychischen Symptomen. Durch die Brutalität der Roten Khmer, können viele Überlebende vom vom Genozide einander nicht trauen, was man im Film auch zu spüren bekommt.  Die Überlebenden reden nie von der Vergangenheit, auch nicht von der Zeit vor der Roten Khmer wo die vielen Kulturen Kambodschas ein aktiver Bestandteil des Lebens waren. Das Land hat durch den Genozide die Gelehrten verloren, und eine ganze Generation an Mentoren. Die Jungen Kambodschaner sind jedoch sehr zukunftsorientiert und zielstrebig. Sie möchten das moderne Leben, das wir geniessen. Viele von ihnen (inklusive Kalorntorn vom Film) lernen erst in den späten Jugendjahren von der Roten Khmer und dunklen Zeiten ihrer Vergangenheit.

Bokator wurde am 29. November 2022 auf die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Dies war ein langer und schwieriger Prozess. Um spezifische Kulturerbe am Leben zu erhalten, muss es für die Gemeinschaft relevant sein und von einer Generation zur nächsten weitergeben werden. Dies ist genau, was der Film «Surviving Bokator» dokumentiert.

Zu Ihnen persönlich. Sie leben in Toronto. Wie kommt eine Jonerin an den Lake Ontario?
Ich bin in Jona aufgewachsen, ging hier zur Schule und habe dann meine Ausbildung bei der St. Galler Kantonalbank in Rapperswil-Jona begonnen. Ein Jahr nach der Ausbildung zog es mich jedoch nach St. Gallen, wo ich für einige Jahre gearbeitet habe. Nach einigen Jahren hatte ich eine Beförderung zur Filialleiterin in Aussicht - eine super Chance, da ich noch sehr jung war, doch fühlte sich das zu fest nach «settling» an. Somit entschied ich mich, zu kündigen und nach Kanada zu ziehen, wo ich keinen Job, Visa oder Verwandte hatte. Toronto war etwas zufällig, aber der Multikulturismus hat mich fasziniert!

Der Plan war eigentlich für zwei Jahre zu bleiben, aber wie so oft geht nicht alles nach Plan. Es war viel schwieriger als erwartet mit dem Visa, und als ich endlich eine gute Stelle hatte, wollte ich verlängern. Dazu kam eine Beziehung mit einem Kanadier (der Regisseur des Filmes) - und so sind es mittlerweile 20 Jahre seit ich meine Heimat verlassen habe. Ich arbeite immer noch im Finanzbereich, zur Zeit bei der Royal Bank of Canada, der grössten Kanadische Bank und weltweit eine der Grössten, da Dokumentarfilme keinen Ertrag bringen. Zudem bin ich Präsidentin der Schweizerische-Kanadischen Handelskammer in Toronto.

Toronto, die Stadt die am meisten Nationen friedlich vereint, gab mir die Chance durch meine persönlichen Kontakte mehr über Asian zu lernen. Nach acht Jahren in dieser multikulturellen Stadt wollte ich etwas Neues, und so kam die Idee. Ich wollte schon lange nach Asian, um die diversen Kulturen kennenzulernen. Jedoch war ich bereits Mitte Karriere und wenige gehen zu diesem Zeitpunkt für länger auf Reisen. Aber ich liebe das Neue, und gewisse Herausforderungen. Zudem bin ich jemand, der immer ein Projekt oder eine Aufgabe sucht. Mein Mann arbeitet in Film und Fernsehen und somit, statt ‘nur’ zu Reisen, entschieden wir uns, diverse Kurz-Film Projekte zu recherchieren, Bokator war eines davon.

Wie oft trifft man Sie noch in Ihrem alten Zuhause – nur, wenn eine Filmpremiere ansteht?

Nein, ich liebe es, in die Schweiz zu kommen. Grundsätzlich komme ich jährlich, 1-2 mal. Nur während Covid gab es einen Unterbruch, da Kanada sehr strenge Massnahmen verhängte. Meine Jungs (8 und 10) reden Schweizerdeutsch, gehen ins Sommercamp in Jona und lieben das Skifahren in den «richtigen» Bergen.

Könnten Sie sich vorstellen, wieder in die Schweiz zurückzukehren?
Ja, durchaus. Die Filmfonds-Unterstützung in der Schweiz wäre viel besser gewesen… (lacht). Man schätzt vieles erst richtig, wenn man seinen Horizont erweitert und anderes kennenlernt. Doch als arbeitstätige Mutter ist das Leben in Toronto relative angenehm, da es hier die ’Norm’ ist und das System darauf eingerichtet ist. Universitäten sind jedoch viel teurer in Nordamerika, also ist es möglich, dass die Kids in der Schweiz studieren werden und wir so vielleicht zurückkommen.

Und einen erstklassigen kanadischen Ausländer könnten Sie den SCRJ Lakers so oder so vermitteln….
Mein Sohn Lucas. Dies wäre sein Ziel, aber da braucht es noch etwas Zeit...

01.07.2023: "SURVIVING BOKATOR" FILMPREMIERE SCHWEIZ IN RAPPERSWIL, TRAINING IN WOLLERAU

Wann: Samstag, 1. Juli 2023, ab 12:00 Uhr (Filmpremiere um 13:00 Uhr).
Wo (Kino): Kinobar Leuzinger, Obere Bahnhofstrasse 46, 8640 Rapperswil-Jona.
Anreise: Das Kino ist vom Bahnhof Rapperswil in 7 Gehminuten erreichbar.
Tickets: Vor Ort im Kino Leuzinger à CHF 20.- erhältlich oder im Vorverkauf auf kinoevent.ch.

Training:
Samstag, 1. Juli 2023, ca. 17:00 Uhr. Do-Jigo Wollerau, Info www.newksg.ch

Weitere Vorführungen:
Sonntag, 2. Juli in Frauenfeld 13.00 www.kino-frauenfeld.ch
Uznach: 4. Juli 19.30 www.kino-uznach.ch
Rapperswil: 5. Juli 18.15 Schlosskino www.kinoevent.ch
Wädenswil: 6. Juli 19.30 www.schlosscinema.ch

Thomas Renggli