Sandra Leuba, Sie präsentieren den preisgekrönten Dokumentarfilm «Surviving Bokator» –über eine fast 2000 Jahre alte kambodschanische Kampfkunst. Wie kamen Sie auf die Idee für dieses Projekt?
Eine gute Frage, denn wir sind nicht wirklich «Kampfkünstler». Ich habe zwar den ersten Gurt in Bokator. Mark Bochsler, der Direktor, hatte immer eine visuelle Faszination mit Martial Arts (Kampfkunst/die Red.), und die Ursprungsidee war ein Foto-Essay zu machen. Für alle asiatischen Länder auf unserer ‘Liste’ kannten wir mindestens eine Kampfkunst - abgesehen von Kambodscha. Durch unsere Recherche stiessen wir aber darauf, dass Kambodscha sehr wohl eine alte Kampfkunst besitzt und dass sich der Grossmeister San Kim Sean aktiv ums Wiederbeleben von Bokator bemühte. So entstand der Plan, einen Kurzfilm über diese ausgestorbene Tradition zu machen. Doch wer hätte gedacht, dass Bokator uns während 13 Jahren beschäftigt und aus dem Kurzfilm Projekt ein Langformat-Film würde, der aus über 400 Stunden Filmmaterial entstand?
Inwiefern geht es im Film ums Überleben?
«Überleben» ist ein Thema, das sich durch den Film zieht. Es ist eine Metapher zur Frage, ob die traditionelle Kampfkunst gerettet und für die Zukunft erhalten werden kann? Jedoch nur, wenn die junge Generation die Tradition lernen will und sie selber weiter an die nächste Generation transferieren möchte. San Kim Sean sagt viel «surviving Bokator» aber meint eigentlich «saving», also retten für die Zukunft. Bei der Wahl des Titels haben wir uns entschieden, «Surviving» anstatt «Saving» zu verwenden, da es eine tiefgründigere Bedeutung hat und gut bei den Kambodschanern ankommt.
Überleben, oder eben «Surviving» ist auch passend zur kambodschanische Vergangenheit. Die Kambodschaner sind eine Nation von Überlebenden. Der Grossmeister und die ältere Generation ‘überlebten’ die unglaublich traumatische Zeit mit dem kambodschanischen Genozide, bei dem zwischen 1975 und 1979 geschätzte zwei Millionen Menschen ums Leben kamen, oder ein Viertel der Bevölkerung.
Was erwartet den Zuschauer. Eine technische Anleitung des Sports?
Nein, absolut nicht. «Surviving Bokator» ist ein Dokumentarfilm, jedoch geschnitten wie ein Spielfilm. Es ist eine berührende und persönliche Geschichte des Wiederbeleben von Bokator und die Wichtigkeit, dass die Generationen zusammenarbeiten, um die ausgestorbene Kultur zu erhalten. Dieser Film wurde über fünf Jahre hinweg gedreht und zeigt die Bemühungen dieses Nachkriegsvolkes, seine traditionelle Identität wiederzuerlangen und seinen Platz in einer modernen Welt zu finden.
Können Sie dem helvetischen Traditionslisten, dem Schwingen näher steht, Bokator kurz erklären?
Es wird angenommen, dass Bokator (Kun L’bokator in Kambodschanisch, was heisst ‘einen Löwen schlagen’) vor mehr als 1700 Jahren auf den Schlachtfeldern des alten Khmer Empires begann, und dank dessen später grosse Teile von Südostasien und Südchina beherrschten. Ein genauer Blick auf die Schnitzereien in den Tempeln von Angkor offenbart eine vielfältige Bokator-Technik, die die Kampfstile von Tieren nachahmt und sich in den Namen von Positionen wie Tiger, Drache, Adler oder Krokodil widerspiegelt.
Gerüchten zufolge gibt es bis zu 10'000 verschiedene Techniken. Im Gegensatz zu Pradal Serey – der Wurzel des Khmer Kickboxens (Kun Khmer) – ist Bokator eine breitere Kampfkunst und zeichnet sich durch Nahkämpfe und den Einsatz von Waffen aus, darunter Bambusstäbe und kurze Stöcke, Speere oder Äxte. Ausserdem nutzt Bokator jedes einzelne Körperteil als Waffe und ist mit seinem breiten Spektrum an Ellbogen- und Knieschlägen effektiv. Wie bei den meisten Kampfkünsten ist die geistige und körperliche Stärke und Disziplin seiner Praktizierenden durch Selbstverteidigungstechniken und eine Philosophie der Gewaltlosigkeit zu entwickeln.