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Leserbrief
Kanton
05.08.2020
05.08.2020 08:23 Uhr

Was kann man gegen Nachbarslärm tun?

Was kann man tun, wenn der Nachbarslärm den Schlaf raubt?
Was kann man tun, wenn der Nachbarslärm den Schlaf raubt? Bild: Lawyer Blog
Nachbarslärm trübt nicht allzu selten das Wohnglück. Was macht man, wenn man sich in solch einer Situation befindet? Ein Linth24-Leser gibt eine ausführliche Antwort darauf.

Wie man dem Linth24 Artikel entnehmen kann, trübt Nachbarslärm nicht allzu selten das Wohnglück. Je nach Studie sind Geräusche in der Wohnung an erster oder zweiter Stelle der Schweizer «Lärm-Hitparade» – siehe z.B. die LIGNUM Analyse dazu – Strassenlärm und Trittschalllärm «streiten» sich da um den ersten Platz.

Nun, was macht man, wenn man ein neues Haus gekauft hat und in so einer Situation sich befindet ? Wenn es um den Lärm durch die Wände geht, ist die Sachlage viel einfacher und die Chancen einer Klage intakt; bei Trittschallärm (spielende Kinder im oberen Stock, barfuss herum rennende 100 kg Personen) sieht die Sache hingegen sehr viel schwieriger aus.

Akustiker beauftragen

Kommt der Lärm durch die Wände, so kann man einen Akustiker beauftragen, Messungen zu machen. Im Raum, wo der Lärm herkommt, wird ein Kugellautsprecher an verschiedenen Positionen im lärmigen Raum aufgestellt und dabei werden im Sende- und im Empfangsraum an verschiedenen Positionen die Pegel gemessen. Daraus, unter Berücksichtigung der Nachhallzeit und Grundgeräusche des Empfangsraumes, lässt sich die Isolationsqualität bestimmen und anhand einer ISO Norm (16283-1) bewerten. Die Schweizerische SIA Norm 181 legt rechtsrelevante Grenzwerte fest – werden die nicht erreicht kann man klagen.

Eine über 20 Jahre veraltete Norm in der Schweiz

Kommt der Lärm als Gedonner durch die Decke, so sieht die Sache rechtlich viel schwieriger aus. Grund dafür ist, dass in der Schweiz und weiten Teilen Europas eine über 20 Jahre veraltete Norm zur Anwendung kommt, welche den Hauptteil der Trittschalls, die tiefen Frequenzen, gar nicht beachtet. Nur die Schweden nutzen die neuere Ausgabe der Norm. Auch haben die asiatischen Normen, welche statt des Normhammerwerkes einen schweren Gummiball zur Trittschall Emulation nutzen (beim Aufprall ergibt sich ein 160 Kg Aufschlag definierter Impedanz), (noch) keine rechtliche Akzeptanz in der Schweiz – ein Jammer, denn die asiatische Messweise liefert psychoakustisch sehr viel relevantere Werte – im Gegensatz zum Normhammerwerk (welches gehärtete 500Gr Hämmer 4cm auf den Boden fallen lässt – eine Bodenanregung, die beispielsweise mit Spannteppichen weitgehend verpufft).

Am folgenden Bild dies kurz erläutert: Hier geht es um Messungen in einem Neubau, wo die Messresultate nach SIA Traumwerte liefern, die Bewohner / Käufer aber mit der Situation nicht glücklich sind:

Erläuterung: In der grossen Tabelle werden die Spektralwerte der Ball-Plops eingegeben, Grundgeräusche und Nachhallzeiten (nach Bedarf) eingegeben – und der Rest erfolgt weitgehend automatisch. Die Normhammerwerte wurden in einem anderen Template erfasst und in die oberste Zeile (L‘,nT) eingegeben. «Acuwood» war eine grosse Schwedische Holzbau-Initiative und entwickelte eigen Einzahlwert-Modelle.

Im Bild rechts oben zeigt die braune Kurve das Spektrum der Normhammerwerk-Messung nach ISO / SIA. Da die Norm nur die Frequenzen über 100 Hz berücksichtigt, liegt die dazu von der Norm vorgegebene, pegelmässig angepasste Referenzkurve (blau) auf einem tiefen Niveau, welcher nur die Pegel von 100 Hz aufwärts berücksichtigt. Grün die Pegelkurve nach dem Asiatischen Modell, welche Lauf- und Kinderspiel-Geräusche mit hoher Relevanz (Korrelation >90%) nachbildet. Es geht als um (ungewichtete) Pegel um 80 dB, die in den unteren Raum abgestrahlt werden.

Im roten Kasten sehen Sie die Resultate nach Auswertungsarten:

  • Nach SIA: 36 dB
  • Nach Schwedische Art (gleiche ISO Norm neuerer Ausgabe, ab 50 Hz): 50 dB
  • Nach Asiatischer Art, mit dem Gummiball (oben im roten Kasten): 46 – 53 dB
  • Energetisch: Um 79 dB

Deckenfrequenz liegt tief

Wie man in diesem Beispiel sieht, führt das SIA Verfahren zu etwa 14 dB tieferen Werten als andere, neuere Verfahren. In diesem Fall hier hat man rechtlich keine Chancen; die SIA Grenzwerte liegen um 50 dB (situationsabhängig).  Die Besonderheit des geprüften Baues ist heute keine Besonderheit mehr: Diese Wohnung hat Wohnzimmer, Esszimmer und Küche in einer Linie und damit eine Deckenspannweite (ohne Stützmauern!) deutlich über 10m. In der Folge liegt die Deckenfrequenz tief, von den alten Normen nicht beachtet. Diese Bauweise ist übrigens in Neubauten gar nicht so selten.

Nur 5 Akustiker, welche die asiatische Methode benutzen

Was machen, wenn man ein Haus bauen will, und sicher keine bösen Trittschall-Überraschungen haben will?  Aktuell gibt es nur gut 5 Akustiker in der Schweiz, welche die asiatische Methode kennen und benutzen – primär Holzbau-Akustiker. Ob dies solche Werte als Vertragsgegenstand anerkennen würden, weiss ich nicht.  Man könnte auch Normhammerwerk-Zielwerte ab 50 Hz vereinbaren – auch hier liegt die Akzeptanzfrage im Raum; dabei müsste aber wegen der grösseren Bandbreite ein 5 dB höherer Grenzwert als der SIA Werte abgesprochen werden – was in Schweden der Fall ist. Oder eher den Ansatz machen, im Gespräche zu versuchen, für Abschnitte der Messkurve Mindestziele festzulegen – man merkt dann schnell, in welchen Frequenzbereichen der Akustiker sich sicher fühlt – und dort Schwerpunkte vereinbaren.

Gültige Verfahren weisen grosse Ungenauigkeit auf

Was auch gegen den Rechtsweg spricht, ist, dass das in der Schweiz gültige Verfahren eine sehr grosse 95% (2 SD) Ungenauigkeit aufweist: +/- 8 dB. Nutzt man das Verfahren nach der neueren 50 Hz Variante, verbessert sich die Lage auf +/- 5…6 dB. Das Asiatische Verfahren weist 2..3 dB Ungenauigkeit auf  -  das hat eine Untersuchung von mir mit ein paar SGA Diplom-Akustikern aus Messwerten von 25 Decken ergeben.

Alastair Gurtner, dipl.-Ing ETH, dipl. Akustiker SGA, pensioniert.