Amanda, mit welchem Alter hast du gemerkt, dass du trans bist?
In der Kindheit war ich einfach ein Kind. Dann ist aber die Pubertät gekommen. In der Schule hat es mit der Trennung der Geschlechter angefangen; also Mädchen haben Volleyball gespielt, die Jungs sind Tschutten gegangen. Und dort habe ich das erste Mal gemerkt, dass sich meine Einteilung komisch angefühlt hat.
Damals war das Internet noch nicht so verbreitet und man hatte kein Smartphone, auf dem man hätte googeln können und dementsprechend habe ich lange gar nicht gewusst, dass es noch andere Leute gibt, die so fühlen.
Erst als das Internet aufgekommen ist, habe ich auf Social-Media-Plattformen wie Reddit oder Tumblr Informationen bekommen, dass es noch mehr Trans-Leute gibt. Ich habe gemerkt, dass ich nicht alleine bin und es auch Leute gibt, die eine Transition gemacht haben, was medizinisch möglich ist; das war alles neu und eine Erleichterung.
Und dann?
Dann habe ich aber zu mir gesagt: Schön für sie, aber ich werde mich nie im Leben als trans outen; mit meinem Job, Freundeskreis und Eltern wird das nicht funktionieren. Ich habe es dann jahrelang mit Rebellion gegen das System und gegen die Eltern verdrängt.
Irgendwann ist jedoch der Moment gekommen, in welchem meine Psyche das nicht mehr mitgemacht hat. Und dann ging es bergab. Ich bin schwer suizidal geworden. Auf den letzten Drücker haben wir professionelle Hilfe eingeschaltet. Als ich dann notfallmässig zum Psychiater gegangen bin, habe ich mein Transidentität zum ersten Mal jemanden offen anvertraut. Ab diesem Moment hat meine Transition angefangen. Es war eigentlich kein freier Entscheid, sondern mehr aus der Not heraus. Aber schlussendlich hat es geholfen.
Wie fühlt es sich an, mit dem falschen Geschlecht geboren worden zu sein?
Es ist mega schwer, das zu beschreiben. Es ist wie eine Art innerliches Unwohlsein, das dich jede freie Sekunde belastet. Jede Sekunde, in der ich nicht gearbeitet oder ein umfangreiches Hobby gehabt habe, sind meine Gedanken abgeschweift: Wieso bin ich trans? Wie soll ich das machen? Ein Outing funktioniert nie.
Dann ist in der Schulzeit während der Pubertät dazugekommen, wo sich der Körper verändert. Ich habe gesehen, dass sich die anderen Mädchen zu Frauen entwickeln, aber mein Körper macht das Gegenteil.
Du hast also gedacht, dass dein Körper eigentlich auch zu einer Frau werden soll?
Ja genau, mein Körper hätte auch das machen sollen, was die anderen gemacht haben – zumindest meiner Logik nach. Das gibt so ein unendliches Ungleichgewicht in deiner Zufriedenheit. Es ist etwas, das dich jederzeit bedrückt und du wirst immer wieder daran erinnert. Ich bin dann beispielsweise auch auf meine Mitschülerinnen eifersüchtig und aggressiv geworden, wenn mich jemand als Junge angesprochen hat.
Ich sage immer, dass zwei Sachen nicht stimmen: Zum einen ist es mein Körper, der falsch ist; den kann man medizinisch ein wenig hinbiegen. Andererseits ist es das gesellschaftliche Bild, das man hat. Wenn ich in einen Laden gegangen bin und sie mich mit Herr angesprochen haben, war das mega verletzend.
Wie hat dein Umfeld reagiert, als du dich als trans geoutet hast?
Das Outing gegenüber meinen Eltern war das Schlimmste, was ich je machen musste. Sie waren so geschockt, als ob man ihnen die schlimmste Botschaft überbracht hat. Meine Mutter hat geweint, mein Vater ist ganz leise da gesessen und hat kein Wort herausgebracht. Nach dem Outing habe ich sie mal ein wenig in Ruhe gelassen und ihnen Dokumente und Bücher zum Thema mitgegeben.
Mit meinen Eltern habe ich aber ein gutes Verhältnis, sie haben mich nicht verstossen oder so. Auch in meinem Freundeskreis und Arbeitsumfeld waren die Leute zuerst geschockt, sind damit aber professionell umgegangen und haben das gut akzeptiert.
Denkst du, in einer Grossstadt wäre es einfacher gewesen?
Kann sein. Weil es mehr Leute gibt, gibt es mehr von allem; mehr Trans-Leute, eine grosse LGBT-Community. Das wäre sicher ein Vorteil gewesen. In Wil und St.Gallen hat es damals nichts gegeben; in Zürich war die LGBT-Szene schon vorhanden.
In der Grossstadt ist es auch einfacher, in der Menschenmasse unterzugehen. Das war auch das Ziel meiner Transition: So fest in der Masse untergehen, dass man mich nicht als Trans-Person erkennt. Heute kommt es in der Schweiz grösstenteils nicht darauf an, nur in den sehr ländlichen, konservativen Gegenden könnte es etwas schwieriger sein.