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01.12.2022
01.12.2022 18:57 Uhr

EW-Chef zur Stadthofmetzg: «Das hat nichts mit Herz zu tun»

EW-Geschäftsführer Bätscher: «Es ist für mich nicht vorstellbar, dass jemand zu diesem Schritt gedrängt worden ist»
EW-Geschäftsführer Bätscher: «Es ist für mich nicht vorstellbar, dass jemand zu diesem Schritt gedrängt worden ist» Bild: Linth 24
Die Stadthofmetzg in Rapperswil bangt wegen der Strompreise um ihre Existenz. Michael Bätscher vom EW Jona-Rapperswil nimmt Stellung. Ein Patentrezept für die Notsituation hat er aber nicht.

Herr Bätscher, die Strompreise steigen massiv. Hardy und Maya Nussbaumer fürchten um die Existenz ihrer Stadthofmetzg. Hat die Elektrizitätswerk Jona-Rapperswil AG kein Herz für lokale KMU?

«Das hat nichts mit Herz oder Empathie zu tun. Wir sind als Unternehmen an die gesetzlichen Richtlinien gebunden. Aufgrund der aktuellen Gesetzgebung gilt der Grundsatz: «einmal frei, immer frei». In einer kürzlich publizierten Verfügung der Eidgenössischen Elektrizitätskommission wurde dieser Grundsatz bestätigt. Wer sich also für den freien Strom-Markt entschieden hat und auch davon profitieren konnte, kann nicht mehr in die Grundversorgung zurückkehren».

Weshalb ist die Rückkehr nicht möglich?

«Dazu müsste zuerst die Gesetzgebung angepasst werden. Zudem hat sich der Bundesrat am 2. November 2022 gegen eine Rückkehr entschieden. Dabei diskutierte er verschiedene Varianten. In sämtlichen Fällen wären jedoch starke Eingriffe nötig gewesen. Und Vollzugsprobleme und unerwünschte Nebenwirkungen entstanden. Gemäss der Sitzung des Bundesrats vom 23. November 2022 ist neu zu regeln, dass Grossverbraucher, die ihren Strombedarf bisher auf dem freien Markt eingekauft haben, durch den Beitritt in einen Zusammenschluss zum Eigenverbrauch wieder in die Grundversorgung zurückkehren können. Allerdings gibt es dabei Einschränkungen».

Unterschreiben die Nussbaumers den ihnen vorliegenden neuen Vertrag müssen Sie anstatt heute 40‘000 Franken mehr als das Siebenfache, also rund 300‘000 Franken pro Jahr bezahlen. Was raten Sie ihnen?

«Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Strom für das nächste Jahr zu beschaffen. Sie können einen Energieliefervertrag zu einem fixen Preis für mindestens ein Jahr abschliessen oder die Energie zu Spotmarktpreisen einkaufen. Sie haben jederzeit auch die Möglichkeit, die Energie von einem anderen Anbieter zu beziehen. Das Preisniveau dürfte aber überall ungefähr gleich hoch sein. Ich kann aber sehr gut verstehen, dass die Situation für viele Unternehmen derzeit schwierig ist. Die Strompreisentwicklung ist massiv – und hängt von einer aussergewöhnlichen Konstellation ab: der Krieg in der Ukraine, die damit verbundenen Gaslieferengpässe oder die Nichtverfügbarkeit der Kernkraftwerke in Frankreich sind Gründe dafür».

Und dies führt zu diesen grossen Preisschwankungen?

«Ja, der Strompreis wird – wie bei Aktien oder Rohstoffen - an der Börse bestimmt. Wer beispielsweise vergangenen August für 2023 Strom einkaufte, musste rund zwanzigmal mehr bezahlen als im Januar 2021. Oder in konkreten Zahlen: Konnte im Januar 2021 eine Kilowattstunde Strom für rund 5 Rappen eingekauft werden, kostet derselbe Strom im August 2022 für das Jahr 2023 über einen Franken. Mittlerweile sind die Preise zwar wieder gesunken. Sie liegen aber immer noch um ein Vielfaches über dem Wert vor der Krise».

Im Raum steht der Vorwurf, dass die EWJR die Kunden dazu gedrängt habe, in den freien Markt zu wechseln. Was sagen Sie dazu?

«Obwohl ich damals noch nicht für die EWJR verantwortlich war, kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand zu diesem Schritt gedrängt worden ist. Dies ist nicht das Geschäftsgebaren der EWJR».

Der Bund hat einen Massnahmenkatalog im Falle einer Strommangellage erlassen – unter anderem dürfen Benutzer einer Wärmepumpe ihre Häuser nicht über 18 Grad heizen. Das Bügeln würde ebenso verboten werden, wie das Benutzen eines Wäschetrockners. Drohen uns diese Einschränkungen?

«Ich bin kein Prophet, aber kurzfristig hat sich dieses Szenario entschärft. Die Stauseen sind voll, die Gasspeicher ebenfalls. Zudem ist in Frankreich geplant, dass gewisse Kernkraftwerke wieder ans Netz gehen. Das System bleibt aber fragil. Wenn es im Winter sehr kalt wird und einzelne Stromquellen ausfallen, könnte es nach wie vor zu einer Strommangellage kommen».

Macht es Sinn, als Privatverbraucher auf die Weihnachtsbeleuchtung zu verzichten?

«Persönlich sage ich: «Ja». Es wäre für uns alle von grosser Tragweite, wenn die Industriebetriebe aufgrund einer Strommangellage kontingentiert werden. Letztlich muss man wissen, dass jeder Wassertropfen in einem Stausee, der nicht durch eine Turbine geht, zu einem späteren Zeitpunkt für die Stromproduktion noch zur Verfügung steht. Deshalb macht Stromsparen in jedem Fall Sinn – auch im Kleinen». 

Wie entwickelt sich die Situation am Strommarkt längerfristig?

«Das ist schwierig zu beurteilen. Es stellt sich die Frage, wie die Gasspeicher im kommenden Frühling wieder gefüllt werden können und welcher Effekt dieser Umstand auf die Gaspreise und letztlich auf Strompreise hat».

Sehen Sie auch etwas Gutes an der Situation?

«Wir sind uns wieder bewusst, dass der Strom und die Energie im Allgemeinen keine Selbstverständlichkeiten sind. Früher waren die Preise unter Wert, nun sind sie deutlich zu hoch. Wir wünschen uns alle, dass bald wieder Normalität einkehrt».

Thomas Renggli