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Kultur
03.06.2022
03.06.2022 15:43 Uhr

Das musikalische Leben und Leiden Joachim Raffs

Mitglieder des Kunstvereins Oberer Zürichsee beim Besuch der Ausstellung über Joachim Raff in Lachen.
Mitglieder des Kunstvereins Oberer Zürichsee beim Besuch der Ausstellung über Joachim Raff in Lachen. Bild: Kunstverein Oberer Zürichsee
Als Schweizer Komponist praktisch unbekannt, bekommt Joachim Raffs Oratorium «Welt-Ende-Gericht-Neue Welt» op. 212 zur Feier seines 200. Geburtstages in Lachen neue Aktualität im Weltgeschehen.

Vor 200 Jahren kam Joachim Raff (1822-1882) als Sohn eines aus Württemberg eingewanderten Musikers in Lachen zur Welt. Der Schweizer Komponist Joachim Raff war lange nur wenigen Musikfreunden in der Schweiz bekannt.

Das änderte sich mit der Gründung der Joachim-Raff-Gesellschaft vor fünfzig Jahren. Zu seinem Geburtstag veranstaltete die Gesellschaft an Auffahrt eine Feier mit Empfang, Konzert und Ausstellung zu Raffs Leben und Wirken.

Ein bewegtes und leidensvolles Musikerleben

Raff verbrachte seine Kindheit in Lachen. So ist es dokumentiert, dank der umfangreichen Sammlung von Emilie Genast, der Schwester von Raffs Frau Doris Raff-Genast und einer Schenkung an die Joachim-Raff-Gesellschaft. Letztere sammelt seit vielen Jahren Schriften, Publikationen, Reise- und Tagebücher sowie Werke von Raff unter der Leitung von Res Marty, der viele Schriften zusammengetragen hat und ein umfangreiches Buch über Raff schrieb.

Seit Herbst 2018 führt die Gesellschaft ein ständig wachsendes Archiv in Lachen. Dies erfuhren die rund zwanzig Mitglieder des Kunstverein Oberer Zürichsee (KVOZ) bei der interessanten Führung durch die Ausstellung im Temporären Kunsthaus Lachen mit dem Archivleiter Severin Kolb.

Führung mit Severin Kolb (r.) in der Raff-Ausstellung Lachen. Bild: Kunstverein Oberer Zürichsee

Raff wurde mit neun Jahren von seinem Vater Franz Joseph Raff, Schulmeister und Musiklehrer, verheiratet mit der Tochter des Lachner Ochsenwirts Katharina Schmid, in Violine, Klavier und Kirchenorgel unterrichtet. Nach dem Gymnasium besuchte er das Jesuitenkollegium in Schwyz und nahm 1840 eine Stelle als Volksschullehrer in Rapperswil an. Zum Entsetzen seiner Mutter verschrieb er sich später ganz der Musik. Nach einer Begegnung mit dem Komponisten Franz Liszt in Basel 1845 zog er nach Deutschland und wurde dessen Assistent. Allerdings verschlechterte sich sein Verhältnis zu Liszt zunehmend, wegen musikalischer und persönlicher Differenzen, so Kolb. Ausserdem geriet Raff zwischen die Fronten des sich zuspitzenden Kulturkampfes zwischen evangelischen und katholischen Kreisen. 1856 zog Raff zu seiner späteren Frau Doris Genast nach Wiesbaden, wo er Klavier unterrichtete. Einen ersten grossen Erfolg verbuchte er mit seiner ersten Symphonie 1863. Er gewann damit eine Preisausschreibung der Wiener «Gesellschaft der Musikfreunde». Weitere Symphonien folgten, unter anderem die dritte mit dem Titel «Im Walde» und die fünfte «Lenore».

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Raff zum meistgespielten Komponisten. Seine Werke eroberten gemäss Konzertprogrammheft die Konzertsäle in ganz Europa und den USA. Endlich war er seine finanziellen Sorgen los. 1877, auf dem Gipfel seines musikalischen Erfolgs, wurde Raff Gründungsdirektor des Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt. Obwohl Raff ein zwiespältiges Verhältnis zu Clara Schuhmann hatte und sie als sehr männlich empfand, stellt er sie als erste Klavierprofessorin mit eigener Klasse für Komponistinnen ein. Das Institut erlangte dank renommierter Lehrerschaft internationalen Ruhm.

Für seine später als Malerin und Schriftstellerin bekannte Tochter Helene komponierte er die vier «Jahreszeiten»-Zyklen. Später fand Raff zurück zum Katholizismus. In den letzten Lebensjahren litt er vermehrt unter einem schwachen Herzen und verstarb kurz nach seinem 60. Geburtstag am 24. Juni 1982. Die Ureinführung seines wohl grossartigsten Werkes und dem einzigen Oratorium, das er schrieb, durfte er noch erleben. Sein Oratorium «Welt-Ende-Gericht-Neue Welt» op. 212 kam am 17. Januar 1882 in der Weimarer Stadtkirche zur Uraufführung.

  • Die GewandhausChöre Leipzig und das Orchester camerata lipsiensis führen Raffs Oratorium auf. Bild: Kunstverein Oberer Zürichsee
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  • Linkes Bild: Solistin Henriette Reinhold (l.) und Dirigent Gregor Meyer. Rechtes Bild: der bekannte Bariton Andreas Wolf (stehend, vorne). Bild: Kunstverein Oberer Zürichsee
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Ein imposantes Werk

Als Höhepunkt des Anlasses durfte der KVOZ die Aufführung des Raff-Oratoriums mit den GewandhausChören Leipzig und dem Orchester «camerata lipsiensis» unter der Leitung von Gregor Meyer in der Pfarrkirche Lachen erleben. Gregor Meyer ist seit 2007 Leiter der GewandhausChöre. Für einzelne Projekte ist er auch bei anderen renommierten Chören zu Gast. Marie Henriette Reinhold, Alt, und Bariton Andreas Wolf traten als Solisten auf und überzeugten. Andreas Wolf ist ein gefragter Konzertsänger und war schon am Bolschoi-Theater in Moskau, an der Opéra national du Rhin, im Teatro Real Madrid und an der Staatsoper München. Reinhold bestand die Musikhochschule Leipzig als Meisterschülerin mit Auszeichnung und ist seither als Solistin in den Konzertsälen und Kirchen in Europa zu sehen und zu hören.

Leise und beschwörend erklang im Ersten Teil die Vision von Johannes. Niemand wurde für würdig empfunden, das Buch der Zukunft zu öffnen und die Siegel zu brechen. Doch dann dreht die Stimmung in freudige Erwartung und Hoffnung. Da steht einer vor Gottes Thron – das Lamm Gottes. Mächtig ertönte der Chor der Engel im Lobpreis. Bedrohlich hingegen erschall das Intermezzo. Die Pest wütet. Dann tauchen die apokalyptischen Reiter auf. Erst der Überwinder auf dem weissen Pferd, dann der Krieger auf dem roten Pferd, der den Frieden hinwegnimmt. Marschmusik und Pferdegetrappel ist zu hören. Mit dem Brechen des dritten Siegels erscheint der Hunger auf einem schwarzen und beim vierten Siegel der Tod auf einem fahlen Pferd. Die Musik wird bedrohlicher, klagender. Das Gericht naht. Mächtig und eindringlich ertönt der Chor der Märtyrer und das Intermezzo zu den letzten Zeichen. Vor dem siebten Siegel herrscht Stille nur wenige Instrumente sind leise zu hören. Dann erschallen die Posaunen hoheitsvoll. Es folgt die Auferstehung der Toten als Intermezzo, dann das Gericht. Freudig und jubelnd erklingt der Chor und die Musik, als Gott den erlösten Menschen einen neuen Himmel und eine neue Erde schenkt. Wo kein Tod, weder Leid noch Hunger und Schmerzen sein werden.

Raff hat in seinen späten Jahren die Vertonung der Apokalypse aus der Offenbarung von Johannes mit Texten aus der Luther-Bibel in Angriff genommen. Mit dem Oratorium «Welt-Ende-Gericht-Neue Welt» hat er ein die Zeiten überdauerndes, imposantes und zutiefst berührendes Werk geschaffen.

Antoinette Lüchinger, Kunstverein Oberer Zürichsee