Durchschnittlich 700 Kinder erleben jährlich eine Polizeiintervention aufgrund häuslicher Gewalt, tätlichen Konflikten oder eskalierenden Streitsituationen zu Hause. Manchmal sind die Kinder mitten im Geschehen: Kleinkinder sind auf dem Arm des Elternteils, der gerade geschlagen wird, Kinder versuchen dazwischen zu gehen, wenn die Gewalt eskaliert, Kinder und Jugendliche flüchten zu Nachbarfamilien oder rufen selber die Polizei.
Um zu verhindern, dass Gewalt als Konfliktverhalten von Generation zu Generation weitergegeben wird und um ihren Bedürfnissen besser gerecht zu werden, wurden betroffene Kinder und Jugendliche während der vierjährigen Projektzeit in den Fokus gestellt.
Unterstützen, vernetzen und sensibilisieren
Die drei Pfeiler des Projekts waren: betroffene Kinder unterstützen, alle Beteiligten vernetzen und involvierte Fachpersonen sensibilisieren. Letzteres begann mit der Tagung «Belastete Familien und die Kinder mittendrin» zum Start des Projekts. Über 250 Fachpersonen nahmen daran teil. Danach erarbeitete das Projektteam die beiden Hauptprodukte des Projekts: Eine Übersicht des Beratungs- und Unterstützungsangebotes im Kanton St.Gallen, das sich direkt an betroffene Kinder und Jugendliche richtet sowie das Handbuch «Kinder inmitten von Partnerschaftsgewalt» für Behörden, Institutionen und Fachstellen.
Das Handbuch, das im Juni 2021 veröffentlicht wurde, enthält Informationen zur Situation der betroffenen Kinder und beschreibt die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteurinnen und Akteure. Die im 150-seitigen Handbuch beschriebene «gute Praxis» der Zusammenarbeit wurde in zahlreichen Sitzungen und bilateralen Absprachen innerhalb der Projektgruppe erarbeitet.
Projekt zeigt Handlungsbedarf auf
Im Projektverlauf wurde Handlungsbedarf bei verschiedenen Prozessen identifiziert: (1) bei der zeitnahen Information der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde über eine Polizeiintervention durch die Polizei, (2) bei der zeitnahen Kontaktaufnahme mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen durch eine Fachperson nach einer Polizeiintervention und (3) bei der längerfristigen Begleitung von Kindern und Jugendlichen.
Der identifizierte Handlungsbedarf betrifft das gesamte System Kindesschutz. Das Projekt hat gezeigt, dass zum Teil unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, wer für was zuständig ist. Diese Kompetenzkonflikte können dazu führen, dass von einer Polizeiintervention unmittelbar betroffene Kinder und Jugendliche durch die Maschen des Kindesschutz-Netzes fallen. Dies soll in Zukunft verhindert werden.
Die Koordinationsstelle Häusliche Gewalt wird im Jahr 2022 an regionalen Veranstaltungen diesen Handlungsbedarf mit den Gemeinden und mit den Kindes- und Erwachsenenbehörden sowie mit Fachstellen und Behörden thematisieren und die Inhalte des Handbuchs vertieft vorstellen.